Red Flags/toxische Warnsignale: toxische Scham

In dieser Folge von Red Flag geht es um ein Warnsignal, das ich schon einige Male erwähnt habe und das du bei dir selbst erkennen kannst. Es handelt sich um eine der stärksten und niederträchtigsten Waffen toxischer Menschen, die Scham. Wie zeigt sie sich, warum lösen toxische Menschen sie aus und welche schädlichen Folgen kann sie für dich haben?

Das Signet vom Toxiversum mit einem kleinen SendemastenDieser Text ist ein leicht angepasstes Transkript der Red-Flags-Podcast-Folge „Toxische Scham“ die du dir hier anhören kannst.

Toxische Scham ist eine beliebte Waffe

Du kannst einen toxischen Menschen nicht nur an seinem eigenen Verhalten erkennen, sondern auch an dem, was er in dir auslöst und was du in deinem Körper und deiner Seele spüren kannst. Und die Red Flag, um die es hier geht, lösen toxische Menschen gewohnheitsmäßig bei uns aus.

Die Waffe der Scham nutzen toxische Menschen in allen Lebensbereichen: in der Ursprungsfamilie, in der Schule, in Freundschaften, in Partnerschaften, bei der Arbeit, in Nachbarschaften und im Internet, in Vereinen, in Sekten und anderen toxischen Gruppen. Aber auch unsere Gesellschaft setzt sie ein.

Denn diese Waffe ist wahnsinnig leicht zu nutzen. Man hat sie ganz fix bei der Hand, und sie kann noch Jahre und Jahrzehnte später sehr grausame Nachwirkungen für die Opfer haben. Für toxische Menschen ist damit das Kosten-Nutzen-Verhältnis einfach perfekt.

Aber was ist Scham eigentlich?

Der Dorsch, das Lexikon der Psychologie, definiert Scham als eine „negative Emotion, die entsteht, wenn man das Gefühl hat, bestimmten Werten, Normen, Regeln oder Ansprüchen nicht gerecht geworden zu sein.“

Auch wenn sich das vielleicht erst einmal negativ anhört, ist es nicht automatisch etwas Schlimmes. Denn Scham kann dafür sorgen, dass wir unser Verhalten den Vorgaben der Gesellschaft anpassen. Und zwar jener Gesellschaft, die wir für unser Sicherheitsgefühl und für unser Überleben brauchen. Denn nur dann, wenn wir uns in grundlegenden Dingen an die Vorgaben der Gesellschaft anpassen, wird sie uns schützen oder zumindest weitgehend in Ruhe lassen.

Scham kann uns davon abhalten, nicht gegen diese Basisregeln unserer Gesellschaft zu verstoßen. Zum Beispiel nicht splitterfasernackt durch die Fußgängerzone zu laufen, uns nicht in endlose Lügen zu verstricken oder Geld für etwas zu nehmen, das wir gar nicht leisten.

Aber nicht nur unsere Gesellschaft hat bestimmte Schamgrenzen aufgestellt. Es gibt sie auch in unterschiedlichen Formen in jeder Religion, in jeder Kultur und in jeder einzelnen Familie. Wir wachsen damit auf. Wir lernen, wo diese Schamgrenzen sind und dass wir sie nicht überschreiten sollten. Als Kinder und Teenies überschreiten wir sie immer mal, um zu testen, was geht. Aber als Erwachsene haben die meisten von uns diese Grenzen internalisiert und als Normalität akzeptiert.

Und ziehen wir in ein anderes Land, dann lernen wir sehr schnell, dass wir uns an dessen Regeln anpassen sollten, wenn wir dort länger bleiben wollten. So weit so normal.

Zwischen dieser eher ungefährlichen Form der Scham und der toxischen Scham liegt aber nur ein sehr schmaler Grat. Die ungefährliche Form kann sehr leicht kippen und toxisch werden. Nämlich dann, wenn sie extreme Formen annimmt, die von unserer Normalität abweichen. Und um diese extremen Formen geht es hier.

Es geht um die toxische Scham, also eine Scham, die ein toxischer Mensch dir einflößt und die teils äußerst negative Auswirkungen für dich haben kann. Normale Scham lernen wir schon im Kleinkindalter. Doch bei der bleibt es nie, wenn wir toxische Eltern haben. Und in anderen Beziehungen zu toxischen Menschen geht das mit der Scham auch nicht lange nach dem Kennenlernen los. Manchmal sogar schon in der Love-Bombing-Phase, die du aus einer vorigen Folge schon kennst. Das ist die Anfangsphase vieler Beziehungen mit einem toxischen Menschen, in der noch alles unfassbar gut zu laufen scheint. Aber auch da beginnen toxische Menschen oft schon damit, uns Scham einzuflüstern.

Wie gehen toxische Menschen dabei vor?

Hat sich ein toxischer Mensch erst dein Vertrauen erschlichen, dann findet er sehr schnell heraus, an welchen Stellen du besonders verletzlich bist. Manchmal scheint es dir vielleicht so, als hätte dieser Mensch geradezu einen siebten Sinn dafür, immer deine allersensibelsten Stellen zu finden.

Hast du toxische Eltern, ist es kein Wunder, dass dir das so vorkommt. Denn die haben dir die Wunden überhaupt erst zugefügt, die sie nach Belieben immer wieder aufreißen. Ganz klar, dass sie wissen, wo und womit sie dich am schmerzlichsten treffen können. Und wo sie besonders erfolgreich mit dem Einflüstern eines starken Schamgefühls sein können.

Andere toxische Menschen finden diese sensiblen Stellen durch das Data-Mining Fragezeichen © Toxiversum heraus, also das Sammeln von möglichst vielen kompromittierenden Daten und Fakten über dich. Das heißt, sie heucheln dir vor, ungemein viel Interesse an dir zu haben, und sie stellen dir unzählige Fragen. Manche dieser Fragen sind dir vielleicht ziemlich unangenehm, was schon eine Red Flag für sich ist.

Aber toxische Menschen tarnen diese Fragen damit, dass sie dir vortäuschen, dass sie dich großartig finden, dass sie in dir ein Juwel sehen und eine Seelenverwandtschaft mit dir spüren. Damit berühren sie eine der tiefsten Sehnsüchte der meisten Menschen, nämlich die Sehnsucht, wenigstens von einem einzigen Menschen auf diesem Erdball vollkommen verstanden zu werden, mit all unseren Ecken und Kanten, unseren Stärken wie unseren Schwächen komplett gesehen, gehört und angenommen zu werden.

Manche toxischen Menschen legen sich tatsächlich richtige Datensammlungen über all das an, was sie da erfahren. Sie füllen ganze Excel-Tabellen damit, um jederzeit nachsehen zu können, womit sie dich noch beschämen, verletzen und kleinmachen können.

Aber toxische Menschen haben nicht nur deine Schwächen und Fehler im Visier. Sie zielen immer auch auf deine besten Eigenschaften ab, deine Talente und all die Dinge, für die du gar nichts kannst. Meistens sind das zunächst nur oberflächliche Dinge wie dein Aussehen, deine Kleidung, deine Stimme, dein Geruch. Aber sie greifen auch deine Intelligenz an, deine Fähigkeiten komplexere Sachverhalte zu durchdringen und all deine anderen Fähigkeiten. Und sie geben dir damit zu verstehen, dass du nicht nur ihren Ansprüchen und Werten nicht genügst, sondern auch denen der gesamten Gesellschaft.

Wie wecken toxische Menschen Scham in dir?

Sie wecken diese Scham in dir durch alle möglichen Manöver. Das kann bei einer sarkastisch hochgezogenen Augenbraue anfangen, einem unpassenden Lachen oder einem vielsagenden Schweigen als Reaktion auf das, was du gesagt oder getan hast. Und es kann weitergehen mit aus dem Mundwinkel gezischten Bosheiten und hinter verschlossenen Türen übermäßig geäußert der Kritik in wütendem oder eiskaltem Ton. Und es hört bei lautem Anschreien und Bloßstellen in aller Öffentlichkeit noch längst nicht auf.

Extreme Kritik an Äußerlichkeiten

Sie kritisieren zum Beispiel dein Aussehen, deine Kleidung, deine Bewegungen oder deine Stimme. Ich habe in der letzten Folge schon das Beispiel erwähnt von dem toxischen Menschen, der einem Mädchen oder einer Frau sagt, sie sähe mit ihrer Kleiderwahl „wie eine Nutte“ aus.

Wir kennen das aber auch aus bestimmten Medien, sogar dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wo bei Boulevard-Themen immer auch über das Aussehen und die Kleiderwahl anderer Leute, besonders von Frauen, hergezogen wird. Man möchte meinen, dass sich Prominente wie Julia Roberts, Serena Williams oder Jennifer Lopez ein Ei auf das pellen, was deutsche Journalist:innen in ihrem Blättchen oder ihrer Sendung über ihre Kleiderwahl bei den Oscars oder Grammys sagen. Aber Promis sind auch nur Menschen. Kommt ihnen so etwas zu Ohren, kann sie das verletzen und beschämen, genauso wie uns Normalos.

Noch schlimmer ist es, wenn so etwas Herabwürdigendes ein Mensch sagt, der uns nahesteht und auf dessen Meinung wir etwas geben. Oder ein Mensch, der großen Einfluss auf uns hat, wie ein Elternteil oder eine Gruppe Gleichaltriger in unserem Umfeld. Immer wieder höre ich auch von Opfern toxischer Menschen, dass ihre Partner:innen ihnen sagen: „Du siehst schon wieder so peinlich aus! So gehe ich mit dir nicht raus!“ Und dann gehen sie allen Ernstes alleine weg.

Kritik an deinen Fähigkeiten

Toxische Menschen stellen aber auch deine Fähigkeiten in Frage, um Scham in dir zu wecken. Zum Beispiel wurde eine frühere Kollegin von mir systematisch von ihrer neuen Vorgesetzten gemobbt. Die hat meine Kollegin immer und immer wieder gedemütigt, weil sie angeblich alles falsch machte und angeblich zu dumm dazu war, ihr auch nur den Stift zu reichen. Dabei war meine Kollegin eine erfahrene und gute Mitarbeiterin, der zuvor noch nie jemand so etwas vorgeworfen hatte. Weshalb sie sich natürlich für nichts hätte schämen müssen. Aber jetzt kam sie vor lauter Scham morgens kaum noch aus dem Bett und wurde bald wegen schwerer Depressionen in eine Klinik eingeliefert.

In der letzten Folge hast du auch schon ein Beispiel in Bezug auf Fähigkeiten gehört. Wenn du zum Beispiel immer wieder mal etwas extra für einen toxischen Menschen kochst. Der redet dann am Anfang in der wunderschönen Love-Bombing-Phase noch ganz überschwänglich über deine Kochkünste. Oder er nimmt etwas, das dir nicht so gut gelungen ist, auf die leichte Schulter. Macht einen lockeren Witz darüber und stoppt damit in dir das Schamgefühl, das sich da vielleicht schon entwickeln wollte.

Aber nach der Love-Bombing-Phase kritisiert er das Essen, behauptet sowas wie, es würde ihn „krank machen“ oder eine Zutat sei „schimmelig“ gewesen, auch wenn das gar nicht stimmt. Und das nimmt er dann zum Anlass, dir vorzuwerfen, du könntest absolut nichts, nicht mal so was Simples wie Kochen. Sogar dann, wenn du dir unwahrscheinlich viel Mühe gegeben und ein ganz komplexes, schönes Menü für ihn gezaubert hast.

Wortsalat als Beispiel für vermeintliche Überlegenheit

Ein anderes Beispiel ist der bei toxischen Menschen sehr beliebte Wortsalat. Ein toxischer Mensch labert dann drauflos, was das Zeug hält, u. a. weil er sich so gerne reden hört. Vielleicht mischt er ein paar Fachausdrücke mit rein oder erfindet ein paar Fakten und Wörter. Und dann drückt er es so verschwurbelt, verkorkst und weitgehend inhaltsleer aus, dass du absolut nicht verstehst, was dieser Mensch meinen könnte. Er selbst versteht es auch nicht, aber das muss er auch gar nicht. Denn dieser Wortsalat hat nur die Funktion, dich zu verwirren, um dir dann vorwerfen zu können, dass du zu dumm wärst, um ihn zu verstehen.

Dieser Wortsalat gehört zu der Methode des Gaslightings Fragezeichen © Toxiversum, aber er soll dir nicht nur das Vertrauen in deinen Verstand nehmen. Er soll auch dazu dienen, Scham in dir hervorzurufen.

Es gibt zahllose weitere Beispiele dafür, die alle darauf hinauslaufen, dass du angeblich nicht denken kannst, nicht rechnen, nicht zuhören und auch sonst nichts. Und dich deshalb gefälligst schämen solltest.

Scham durch sexuelle Grenzüberschreitungen

Sehr gerne überschreiten toxische Menschen auch sexuelle Grenzen. Sie verlangen von dir wiederholt Sexualpraktiken, die du nicht zulassen möchtest. Dann lachen sie dich aus oder nennen dich „verklemmt“ oder „prüde“ und drohen womöglich Konsequenzen an. Vielleicht nötig dich dieser Mensch auch so lange, bis du nachgibst. Und damit kommt zu der Scham auch noch strafbare sexuelle Gewalt hinzu.

Öffentliche Abwertung

Im Internet, besonders auf Social Media, bekommst du von toxischen Menschen häufig Lach-Emojis und abwertende, demütigende Kommentare bei sehr ernsten wichtigen Themen. Was harmlos klingt, kann nachhaltig negative Folgen haben. Wir sehen das z. B. bei Berichten über Menschen mit bestimmten psychischen Diagnosen, bei Menschen, die etwas Neues ausprobieren und darüber berichten, bei Themen wie dem Klimawandel und vermehrt bei sachlichen kritischen Beiträgen zur aktuellen politischen Lage, wo Menschen mit extremen politischen Einstellungen immer wieder mit Lach-Emojis reagieren.

Du wirst in dieses Lächerlichmachen hereingezogen, wenn du so ein Artikel liest oder likst oder teilst. Denn deren Meinung nach sollst du dich dafür schämen, dass du nicht so denkst wie sie oder nicht das ablehnst und lächerlich machst, was sie ablehnen und lächerlich finden.

Gaslighting nach deinen normalen Reaktionen auf Beschämungen

Bei so gut wie allen Beispielen, die ich bis hierhin genannt habe, gaslighten dich toxische Menschen anschließend, indem sie behaupten, sie meinten es doch „nur gut mit dir“, sie wollten doch „nur dein Bestes“, oder sie würden doch „nur einen Witz“ machen. Und sie kritisieren dich als angeblich „hysterisch“ oder „viel zu empfindlich“, wenn du völlig normal auf diese Beschämungen reagierst. Wenn du mehr zum Thema Gaslighting und zu toxischer Kritik erfahren möchtest, findest du dazu einige Links am Ende des Artikels. Die toxische Kritik kennst du ja vielleicht auch schon aus einer früheren Podcast-Folge (Red Flags/toxische Warnsignale: Toxische Kritik oder hier als Podcast).

Scham nach der Trennung oder dem Ausstieg aus der Sekte

Eine Variante dieser toxischen Scham ist die Scham nach einer Trennung von einem toxischen Menschen. Wir kennen das auch von sehr, sehr vielen Sektenaussteiger:innen. In dem Moment, in dem ihnen ein Licht aufgeht, in dem sie den Menschen hinter der Maske wirklich erkennen, in dem sie verstehen, wie viel Gewalt sie erlebt haben und dass dieser Mensch oder die Sektenführung nie ihr Bestes im Sinn hatte, sondern immer nur an sich selbst gedacht und in die eigene Tasche gewirtschaftet hat, in dem Moment möchten sehr, sehr viele Menschen vor lauter Scham im Boden versinken.

Ahnungslose Leute können diese Scham sogar noch verstärken, indem sie ihnen sagen, sie hätten diesem Menschen oder dieser Gruppe von Anfang an nicht getraut. Und wie albern oder durchsichtig deren Maschen doch gewesen sein. Das hättest du doch von Anfang an wissen müssen. Aber das ist kompletter Unsinn. Denn wahrscheinlich hat der toxische Mensch oder die Sekte ihnen gegenüber Risse in der Maske gezeigt und seinen eigentlichen Charakter nicht so gut versteckt wie dir gegenüber.

Fakt ist, in den allermeisten Fällen haben wir gar keine Chance zu erkennen, um was für einen Menschen oder eine Gruppe es sich wirklich handelt, wenn wir uns nicht schon ziemlich gut mit den Red Flags, also den toxischen Warnsignalen, auskennen.

Schließlich sagen sie doch alle am Anfang nicht: „Guten Tag! Ich will dich fertigmachen, auslaugen und bis aufs letzte Hemd ausrauben. Lässt du mich?“ Es geht ja ganz anders los!

Dennoch denkst du nach der Trennung oder dem Ausstieg aus der Sekte, dass dieser Mensch oder die Sekte recht hatten: dass du wirklich dumm seist. Denn wie sonst könnte es sein, dass du das alles nicht erkannt hast? Wie sonst könnte es sein, dass du auf diese Maschen dieses Menschen oder der Sekte hereingefallen bist? Dass du vielleicht sogar trotz der Warnungen anderer alles geglaubt hast?

Aber zum einen hättest du es eben nicht wissen können! Dazu kannst du hier mehr lesen: Toxisches Verhalten: Hättest du es nicht bemerken müssen?

Zum anderen solltest du wissen, dass das alles wirklich nicht deine Schuld ist. Die liegt ausschließlich bei dem toxischen Menschen oder der toxischen Gruppe! Zwar musst du selbstverständlich Verantwortung für dein Handeln innerhalb der Beziehung oder in der Gruppe übernehmen. Wenn du zum Beispiel andere Menschen aktiv mit hineingezogen hast. Oder wenn du neue Mitglieder für die Sekte angeworben hast. Oder wenn du andere Leute dazu überredet hast, dem toxischen Menschen ihre Ersparnisse anzuvertrauen, die der dann natürlich nicht gewinnbringend angelegt, sondern verprasst hat.

Aber auch dann solltest du dir immer wieder vor Augen halten, wie extrem stark du manipuliert worden bist. Und dass du wahrscheinlich nie so gehandelt hättest, wenn du da schon alle Fakten gehabt hättest.

Toxische Scham auf gesellschaftlicher Ebene

Toxische Scham wird aber nicht nur auf individueller, persönlicher Ebene geweckt. Sie wird auch gesellschaftlich sehr gezielt eingesetzt. Da sollst du dich für deine Herkunft schämen, deine Religion, deine Kultur, dein Geschlecht, deine Sexualität, deinen Job, deine finanzielle Situation, die Anzahl deiner Kinder, die Tatsache, dass du keine hast oder dass du alleine erziehend bist usw.

Und unsere Gesellschaft lässt dich diese Scham immer spüren. Z. B., indem sie dich in eine bestimmte soziale „Klasse“ einreiht, aus der du nur sehr schwer oder vielleicht sogar gar nicht herauskommen kannst. Ein Beispiel sind Kinder aus migrantischen oder Arbeiterfamilien. Wollen die studieren, merken sie an vielen Stellen, dass sie nicht dazugehören und sich noch dazu für ihre Herkunft schämen sollen.

Oder du wirst verhöhnt und gedemütigt, weil du homosexuell bist, weil du eine Frau bist oder weil du arm bist. Immer wieder wecken sie Scham in dir, die dir das Gefühl gibt, Außenseiter:in oder unerwünscht in ihren „Kreisen“ zu sein.

Beschämung von Mädchen und Frauen

Mädchen wachsen in unserer Gesellschaft ebenfalls mit einem Übermaß an toxischer Scham auf und werden von Kultur, Medien, Social Media, Influencer:innen und „Tradwives“ mit unterschwelliger oder ganz offener Beschämung dazu gebracht, ihren oft extrem ungesunden Vorbildern zu folgen. Dazu hatte ich in der Folge zum Love Bombing (hier als Text) in Zusammenhang mit den Loverboys bereits einiges gesagt.

Falls du den Begriff „Tradwives“ noch nicht kennst: Dieser Begriff kommt aus dem Englischen und setzt sich aus den Worten „traditional“ und „wife“, also „traditionell“ und „Ehefrau“ zusammen („wives“ ist der Plural von „wife“). „Tradwife“ bedeutet also „traditionelle Ehefrau“ bzw. „Ehefrau nach traditionellen Regeln“.

Und traditionell heißt hier: eine neue Rolle rückwärts in die 1950er Jahre. „Tradwives“ behaupten, der Lebensinn einer Frau bestünde darin, ihrem Ehemann zu dienen und ihm möglichst viele Kinder zu gebären. Und sich dann natürlich alleine um diese Kinder zu kümmern. Und bei all dem selbstverständlich immer top auszusehen und – besonders dem Mann gegenüber – immer top gelaunt zu sein. Und das Ganze propagieren sie über Kanäle wie Instagram und TikTok mit lauter Heile-Welt-Videos.

Folgst du diesen Leuten oder diesen Medien als Mädchen oder als Frau nicht, bist du grundsätzlich nicht oder nach der Geburt deiner Kinder nicht sofort wieder gertenschlang wie einne Zehnjährige, siehst du nicht so top aus und bist du nicht ständig so top gelaunt wie diese Influencer:innen und „Tradwives“ es vorgeben zu sein, dann entwickelst du vielleicht ganz automatisch eine gewisse Scham. Und die kann ziemlich endlos steigerungsfähig sein.

Beschämung von Jungen und Männern

Aber auch Jungen und Männern wird bis heute toxische Scham aufgenötigt, wenn sie sich nicht nach den oft extrem rückständigen Vorstellungen von Männlichkeit verhalten. Oder wenn sie sich den typischen Verhaltensregeln unserer Gesellschaft nicht beugen. Wenn sie z. B. öffentlich weinen oder wenn sie über ihre Gefühle sprechen. Das sind ja keine Dinge, die nur die Klischeefrau macht, weil sie ihr angeblich in den Genen liegen. Sondern es sind geschlechtsspezifisch anerzogene Verhaltensweisen, und zwar von einer Gesellschaft, die uns gleichzeitig weismacht, dass Gewalt ein rein männliches Problem sei. Was es absolut nicht ist!

Körperliche Gewalt geht meistens, aber längst nicht immer, von Männern aus. Psychische Gewalt geht genauso von allen Geschlechtern aus. Allerdings gibt es hierzu kaum verlässliche Zahlen. Laut dem „Bundeslagebild Häusliche Gewalt des Bundeskriminalamts“ von 2023 sind zu 70,5 Prozent Frauen Opfer von partnerschaftlicher oder innerfamiliärer Gewalt. Und zu 29,5 Prozent sind die Opfer männlich. Ähnlich, nur umgekehrt, verhält es sich bei den Täter:innen. 75,5 Prozent Männer, 24,4 Prozent Frauen.

Das BKA zählte 2023 eine Viertelmillion Fälle von häuslicher Gewalt! Und die Zahlen steigen jedes Jahr. Aber das sind nur die Zahlen der Fälle, die polizeilich erfasst wurden. Wie viel häusliche Gewalt es wirklich gibt, wissen wir deshalb gar nicht. Ich persönlich schätze, dass wir von mehreren Millionen Opfern ausgehen müssen. Denn der Großteil der körperlichen Gewalt wird schon nicht angezeigt. Und psychische Gewalt wird oft gar nicht als solche erkannt, also erst recht nicht angezeigt und statistisch erfasst. Und selbst wenn sie erkannt wird, ist es unglaublich schwer, sie zu beweisen und die eigene Schamschwelle zu überwinden, um das Ganze dann anzuzeigen, oder zumindest darüber zu reden. Wir müssen endlich aufhören, dass alles zu verharmlosen.

Gewalt ist nie in Ordnung, niemals!

Und sie ist kein individuelles häusliches Problem, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Und wir alle müssen endlich aufhören, andere Menschen dafür zu beschämen, Gewalt erlebt zu haben oder immer noch zu erleben.

Denn besonders schlimm kann es für eine Person werden, wenn sie Gewalt durch einen toxischen Menschen erlebt und dies auch erkennt. Aber sich dann vor lauter Scham darüber nicht traut, sich anderen anzuvertrauen. Viele schämen sich so sehr, dass sie ihre sichtbaren und unsichtbaren Verletzungen verstecken oder überspielen.

Sie trauen sich vor lauter Scham auch nicht, Hilfe zu holen. Sehr viele Menschen wollen davon ja auch gar nichts hören. Sie können damit nicht umgehen, weil sie es nie gelernt haben. Und sie haben, wenn, dann meistens nur Platitüden parat wie „Dann geht doch einfach!“ oder „Wenn du bleibst, dann kann es doch gar nicht so schlimm sein!“ Solche Reaktionen können das Ganze für eine von Gewalt betroffene Person noch viel, viel schlimmer machen. Denn sie führen vor allem zu noch mehr Scham und zu noch mehr Rückzug und Isolation. Mehr dazu kannst du hier nachlesen: 6 Dinge, die du einem Opfer toxischer Menschen niemals sagen solltest. Jedenfalls sind die betroffenen Personen dadurch dem toxischen Menschen und seiner Gewalt erst recht völlig ausgeliefert.

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Warum tun toxische Menschen das?

Wie immer geht es toxischen Menschen um Macht, Kontrolle und Dominanz. Das unterscheidet ihr Verhalten auch von den harmloseren Varianten der Scham, die ich eingangs schon erwähnt hatte. Scham kann starke, erfolgreiche Menschen sehr, sehr klein machen. Sie kann und soll dir dein Licht nehmen. Denn du sollst nicht mehr strahlen und womöglich immer stärker und erfolgreicher werden. Vielmehr sollst du grau und unscheinbar werden, damit der toxische Mensch dich überstrahlen und sich mächtig fühlen kann, weil er so einen starken, erfolgreichen Menschen wie dich kleingekriegt hat.

Dich grau, unscheinbar und unfähig zu fühlen, kann auch dazu führen, dass dein Selbstwert enorm leidet und du Depressionen bekommst. Und das wiederum bestätigt den toxischen Menschen darin, dass er in seinen eigenen Augen sehr viel fähiger, besser und strahlender ist als du.

Beim Sex will so ein Mensch in dir derart viel Scham wecken, dass du ihn auch alles machen lässt, was er will. Allein aus Demut darüber, dass dieser vermeintlich tolle Mensch sich überhaupt mit dir, dieser angeblich so abgrundtief fehlerbehafteten Person, abgibt.

Manche toxischen Menschen reden ihren Opfern diese Scham auch ein, um ihre durch Pornos inspirierten und für ihre Opfer oft schmerzhaften und äußerst ungesunden Sexualpraktiken folgenlos ausüben zu können. Die Opfer schämen sich hinterher wahrscheinlich noch mehr, weil sie das tatsächlich zugelassen haben. Und der toxische Mensch fühlt sich dominant, mächtig und in Kontrolle.

Toxische Menschen setzen Beschämung also ein, um sich ihre Opfer zu Willen zu machen und um zu bekommen, was sie wollen, um sich größer, besser und fähiger zu fühlen, um die Kontrolle über ihre Opfer zu behalten und um sie zu dominieren. Dafür beschämen sie ihre Opfer auf jeder denkbaren Ebene, in jedem Lebensbereich und immer und immer wieder.

Der Druck, den sie dem Opfer dadurch machen, und diese Nötigungen können dazu führen, dass Opfer ihre Grenzen nach und nach sogar vollständig abschaffen, keinen eigenen Willen mehr zeigen und den toxischen Menschen zukünftig einfach gewähren lassen. Das kann ihr Schamgefühl noch weiter verstärken. Hat ein solcher Mensch sein Opfer erst auf diese Weise gebrochen, wird er es entsorgen. Das kennst du schon aus der Folge um den toxischen Teufelskreis (hier ein Text zum Thema). Und die Art und Weise, wie ein solcher Mensch sein Opfer fallen lässt, inszeniert er so, dass sich das Opfer noch mehr schämt.

Und so wird es ein schier endloser Kreislauf, der toxischen Menschen immer mehr Macht, Kontrolle und Dominanz gibt, auch noch lange nach der Trennung.

Wie kann dir toxische Scham schaden?

Jetzt denkst du vielleicht, dass du dich ja auch schon mal geschämt hast und das keine nennenswerten Folgen für dich hatte. Stellt sich also die Frage: Welche Folgen kann toxische Scham haben und wie kann sie dir schaden?

Ich hatte ganz zu Beginn dieser Folge schon gesagt, dass es sich bei der Scham um eine der stärksten und niederträchtigsten Waffen toxischer Menschen handelt. Denn hast du es mit einem solchen Menschen zu tun, wird er immer und immer wieder versuchen, Scham in dir hervorzurufen.

Und du kannst die Folgen dieser anhaltenden oder sich immer weiter steigernden Scham möglicherweise in deiner Seele, in deinen Gefühlen und in deinem Körper spüren. Das kann Auswirkungen auf all deine Lebensbereiche und deine Gesundheit haben. Und manchmal hallen diese Folgen noch Jahre und Jahrzehnte später in uns nach, sogar dann noch, wenn der toxische Mensch längst aus unserem Leben verschwunden ist.

So erkennst du Scham

Du kannst Scham zum Beispiel daran erkennen, dass du körperliche Reaktionen zeigst:

  • dass du immer schneller errötest oder immer öfter weinst.
  • Vielleicht machst du dich klein, indem du den Kopf und die Schultern hängen lässt.
  • Oder du schlägst die Hände vor das Gesicht, als würdest du dich verstecken oder die Welt aussperren wollen.
  • Oder du beginnst zu schwitzen oder zu zittern.
  • Dein Herz beginnt vielleicht zu rasen oder du hast ein Gefühl der Enge in deinem Brustkorb.
  • Du hast das Gefühl, dass du nicht mehr atmen kannst oder dass dir das Herz wehtut.
  • Vielleicht bekommst du eine ausgewachsene Panikattacke und hast die inzwischen immer öfter.
  • Vielleicht hast du auch jedesmal das Gefühl, dass dir übel wird oder dein Magen sich in Knoten legt.
  • Vielleicht spannen sich deine Muskeln an und du bekommst sofort Schmerzsignale.
  • Oder du beginnst zu stottern.
  • Und dein Kopf fühlt sich möglicherweise leer an oder überschlägt sich geradezu im Widerspruch oder vor lauter Ärger oder Wut, die du aber nicht äußern kannst oder darfst.

Symptome verunsichern dich

Immer wieder solche Symptome zu erleben, kann dich sehr verunsichern und beschämen, wenn du sie vielleicht nicht immer direkt einem Auslöser zuordnen kannst und dir deshalb selbst die Schuld dafür gibst. Und es kann die Scham noch verstärken.

Du findest keine Heilung der Symptome

Ärzt:innen in Deutschland werden leider auch nicht dafür ausgebildet, die Ursachen solcher Symptome zu erkennen und korrekt einzuordnen. D. h., du versuchst vielleicht, jedes einzelne Symptom mit medizinischer oder therapeutischer Hilfe zu heilen. Aber du kommst nicht weiter, weil du die Ursache nicht erkennst oder sie nicht aus deinem Leben entfernen kannst.

Passivität und Rückzug

In anderen Folgen hatte ich schon erwähnt, dass Scham wie eine angezogene Handbremse wirken kann, denn du vermeidest deshalb vielleicht alle Situationen, die diese Scham wecken könnten. Du meidest zunehmend Menschen, ziehst dich zurück und wirst vielleicht passiv, wo du vorher aktiv oder zumindest aktiver warst.

Isolation

So gehen dir vielleicht Kontakte verloren, die als ein Korrektiv für deine Beziehung wirken könnten, indem sie dir zum Beispiel sagen, was sie von dem halten, was du ihnen über deine Beziehung erzählst oder wie sie deine Partnerin oder deinen Partner selbst erleben und einschätzen. Du bist also zunehmend isoliert.

Innere Kritik und ungesunder Perfektionismus

Vielleicht entwickelst du durch diese Scham auch eine sehr laute, alles bestimmende innere Kritik und daraus folgend einen sehr ungesunden Perfektionismus. Du reibst dich also auf, um immer besser zu werden und es dem toxischen Menschen recht zu machen, damit du diese Scham endlich loswirst.

Nur ahnst du nicht, dass dem toxischen Menschen nicht wirklich daran gelegen ist, dass du sie loswirst. Vielmehr möchte er dich ja kleinhalten. Also wird er immer irgendetwas finden, mit dem er dich beschämen und zu noch mehr Anstrengung nötigen kann.

Deshalb verinnerlichst du die Scham mit der Zeit und gibst dir selbst die Schuld daran. Und du entschuldigst dich vielleicht immer öfter schon im Vorhinein. Insbesondere dann, wenn du schon mit einem toxischen Elternteil aufgewachsen bist, das dir schon von Kindesbeinen an toxische Scham eingeflößt hat.

Verlust von Kraft und Lebenszeit

Dann ist dein ganzes Leben ein endloses Streben nach einer absolut unnötigen Perfektion, die du sowieso nie erreichen kannst. Denn dem toxischen Menschen ist das, was du sagst und tust, nie genug und nie gut genug, egal wie sehr du dich anstrengst. Aber du verlierst dadurch unwahrscheinlich viel Kraft und Lebenszeit.

Angewöhnung ungesunder Verhaltensweisen

Vielleicht führt die ständige Scham auch dazu, dass du dich mit Drogen oder Alkohol betäubst. Dass du dissoziierst, d. h. dich sozusagen aus deinem eigenen Leben wegbeamst. Z. B. durch endloses Fernsehen oder permanentes Social-Media-Scrollen.

Oder du versuchst, die Scham zum Schweigen zu bringen durch Unternehmungen, die dir nicht gut tun oder sogar riskant sind. Vielleicht gibst du viel zu viel Geld aus für Dinge, die du gar nicht brauchst. Oder du gehst Fallschirmspringen o. Ä.

Selbstverletzung und Selbstvernachlässigung

Es kann auch sein, dass du dich für die Scham selbst bestrafst, indem du dich z. B. immer wieder selbst verletzt. Oder indem du deine eigenen Bedürfnisse vernachlässigst und dich nur noch um die Bedürfnisse des toxischen Menschen und aller anderen Menschen kümmerst.

Vielleicht bewegst du dich nicht mehr so viel, wie du es eigentlich gerne würdest oder früher getan hast. Oder du isst viel zu wenig, oder viel zu viel. Oder du isst und lebst sehr ungesund. Du schaffst es nicht mehr, grundlegende hygienische Maßnahmen zu treffen oder ärztliche Termine wahrzunehmen usw.

Du suchst den Fehler immer bei dir selbst

Und das kostet nicht nur sehr viel Kraft, sondern es führt womöglich auch zu noch mehr Scham, die dich noch stärker lähmen kann. Vielleicht übernimmst du irgendwann sogar die Glaubenssätze des toxischen Menschen, weil du für Widerstand gar keine Kraft mehr hast.

Oder du hast schon so viel versucht, es diesem Menschen endlich recht zu machen, dass du ganz automatisch den Fehler bei dir suchst. Denn dieser Mensch sagt dir dann, dass du nicht einmal schaffst, was andere im Schlaf schaffen. Also glaubst du irgendwann, dass es ja an dir liegen muss. Was aber in Wirklichkeit Lichtjahre von der Wahrheit entfernt ist! Nur weißt du das noch nicht.

Du verlierst den Glauben an dich selbst und dein Selbstwertgefühl

Du verlernst vielleicht auch an dich selbst zu glauben und deinem Instinkt und deinen Lebenserfahrungen zu trauen. Vielleicht lernst du auch, dass du es angeblich nicht wert bist, eine wirklich gute, gesunde Beziehung zu haben. Dass du es nicht wert bist, genau so gemocht und geliebt zu werden, wie du bist. Dass du von Glück sagen kannst, dass sich dieser Mensch überhaupt noch um dich kümmert. Wenn es in Wirklichkeit das größte Pech deines Lebens ist!

Aber das weißt du vielleicht auch alles noch nicht und gibst dich deshalb auch mit Beziehungen zufrieden, die dir nicht gut tun oder die dich sogar krank machen. Zum Beispiel die Beziehung zu diesen toxischen Menschen, der die Scham in dir auslöst.

Du glaubst womöglich, nur dieser Mensch könnte dir die Scham nehmen. Aber das stimmt absolut nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Er braucht diese Scham ja, um dich klein zu halten.

Du verlierst Lebensfreude.

All das kann dich unwahrscheinlich müde machen, dich auslaugen und dir jede Lebensfreude rauben. Manche möchten vor lauter Scham nicht nur im Boden versinken, sondern am liebsten gleich sterben. Wir kennen das unter anderem von all den minderjährigen Mobbing-Opfern, die sich schon umgebracht haben. Aber Erwachsenen geht es gar nicht anders.

Kein Zutrauen mehr in dich selbst im Beruf

Bei der Arbeit kann diese permanente Scham dazu führen, dass du deinen Job nicht mehr so gut ausüben kannst, weil du völlig ausgelaugt bist, schon wenn du morgens zur Arbeit kommst. Du traust dir nichts mehr zu. Du wagst es nicht mehr Vorschläge zu machen oder dich für ein Thema oder für dich selbst einzusetzen, aus Angst noch mehr beschämt zu werden, womöglich vor versammelter Belegschaft.

Das reduziert nicht nur deine Lebensfreude, denn wir verbringen schließlich ein Drittel unseres Tages bei der Arbeit. Es kann auch dazu führen, dass du dich nicht einmal mehr für eine Beförderung oder Gehaltserhöhung einsetzt, selbst wenn sie dir zusteht oder lange überfällig ist.

Aggression zum Verdecken der Scham

Und manchmal kann die Scham auch dazu führen, dass du von dir ablenken möchtest und deshalb die Fehler in anderen Menschen siehst und sie ansprichst. Vielleicht wirst du extrem kritisch anderen gegenüber, die dein Level von Perfektionismus nicht ansatzweise erreichen. Vielleicht wirst du sogar defensiv oder aggressiv solchen Menschen gegenüber. Und du suchst selbst Macht, Kontrolle und Dominanz zu erlangen, obwohl du eigentlich ein friedliebender Mensch bist und nichts anderes möchtest, als mit allen gut auszukommen.

Aber du brauchst das, um deine riesige Scham nicht fühlen zu müssen. Nur merkst du, dass du dich dadurch noch stärker isolierst. Und dass du dich kein bisschen sicherer oder weniger beschämt fühlst. Denn die Scham geht durch solches Verhalten nicht weg. Sie ist immer da, sie lungert immer in deinem Hinterkopf herum, um gerne im genau falschen Moment durch Erröten, Zittern oder Panikattacken oder anderes wieder zum Vorschein zu kommen.

Du verharrst zu lange in der Beziehung zu einem toxischen Menschen

Aber immer führt Scham dazu, dass wir länger bzw. viel zu lange in einer Beziehung zu einem toxischen Menschen verharren, ohne uns selbst vor seinem Verhalten zu schützen. Denn Scham kann uns natürlich in jeder Hinsicht unwahrscheinlich verunsichern.

Und dann bleiben wir notgedrungen bei dem Menschen, der uns verspricht, es wirklich nur gut mit uns zu meinen, auf uns aufzupassen, uns zu zeigen, wie es angeblich besser und richtig geht. Dann können wir vor lauter Scham gar nicht mehr richtig und falsch unterscheiden. Und wir glauben, da draußen, also außerhalb der Beziehung, wäre niemand mehr, der uns so lieben, schätzen oder mögen würde wie der toxische Mensch, und niemand, der uns besser verstünde. Das bekräftigt der toxische Mensch auch gerne, denn er weiß: Das steigert das Schamgefühl.

Damit ist Scham ein enorm wichtiger Teil der Traumabindung. Also jener Bindung, durch die uns ein toxischer Mensch scheinbar untrennbar an sich fesselt. Also sind wir genötigt, weiter Gewalt zu ertragen.

Und all das nur deshalb, weil irgendein toxischer Mensch es sich anmaßt, uns durch wiederholtes Beschämen unser Licht nehmen zu müssen! Nur um sich selbst besser zu fühlen, um mehr Macht, Kontrolle und Dominanz über uns zu bekommen.

Vielleicht spürst du in mancher Hinsicht eine starke Unzulänglichkeit und Scham. Vielleicht zeigt sie sich nur an der Passkontrolle am Flughafen, wo du schon vorauseilend errötest, weil sie dich da festhalten könnten, obwohl du gar nichts getan hast. Vielleicht zeigt sie sich auch durch vielerlei körperliche Reaktionen, durch seelische Abstumpfung, durch mangelndes Zutrauen in deine Fähigkeiten oder durch scheinbar selbst gewollte Isolation und Rückzug.

Aber dann solltest du wissen, dass du damit leider nicht alleine bist. Dass es unwahrscheinlich viele Menschen gibt, die das erleben müssen. Aber du solltest wissen, es ist nicht deine Schuld! Du bist nicht unzulänglich! Du hast absolut keinen Grund, dich für das zu schämen, was dir angetan wurde und wird. Du hast auch absolut keinen Grund, dich für deine Schwächen zu schämen, denn die haben wir alle. Und du hast erst recht keinen Grund, dich für deine Stärken zu schämen, auch wenn dir ein toxischer Mensch das auf vielerlei Weise einzureden versucht.

Ich hoffe, du kannst diese Red Flag jetzt identifizieren. Wenn du erfahren möchtest, wie du dich vor noch mehr Scham schützen kannst und wie du mit der vorhandenen Scham umgehen kannst, dann findest du hier mehr Informationen: Wie kannst du dich vor toxischer Scham schützen? (Premium).


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