Red Flags/Toxische Warnsignale: Whataboutism („Und was ist mit …?“)

Whataboutism ist eine toxische Methode, bei der sofort deine inneren Alarmglocken schrillen sollten. Denn sie verkleidet sich als vermeintlich harmloser Diskussionsbeitrag, kann aber eine verheerende Wirkung auf Debatten, Menschen und zwischenmenschliches wie (welt-) politisches Handeln haben. Wie funktioniert das?

Zivile Diskussionen beinhalten den Austausch über unterschiedliche Positionen. Da kann es auch schon mal hitzig hergehen, wenn jemand eine Meinung vertritt und Gegenargumente, egal wie logisch oder valide, nicht gelten lassen will. Vielleicht, weil es um sehr viel geht oder um etwas, das starke Gefühle auslöst. Doch zeichnen eine zivile Diskussion immer drei Dinge aus:

  1. gegenseitiger Respekt und ein entsprechend anständiger Umgang miteinander, der beinhaltet, sich z. B. für einen Wutausbruch im Anschluss ehrlich zu entschuldigen (s. dazu auch: Toxische Warnsignale: Entschuldigungen, die keine sind);
  2. die Selbstverständlichkeit, Diskussionsteilnehmende und Zuhörende nicht zu manipulieren, um ihnen den eigenen Standpunkt um jeden Preis aufzuzwingen und/oder sie zum Schweigen zu bringen, und
  3. sie enden im schlimmsten Fall mit einer Einigung darauf, dass man sich in dieser Sache nicht einig ist, selbst dann, wenn die eine Partei den Standpunkt der anderen falsch oder gefährlich findet.

Whataboutism ist aber nicht dafür da, eine zivile Diskussion zu führen. Er hat einen ganz anderen Zweck.

Was ist Whataboutism?

Der Begriff „Whataboutism“ stammt aus dem Englischen von der Wendung „What about …?“, zu Deutsch: „Was ist mit …?“ Zunächst ist es eine ganz normale Frage, die wir z. B. beim gemeinsamen Einkauf im Supermarkt stellen: „Was ist mit Kartoffeln? Haben wir noch genug?“ Oder auch in einer Diskussion, wenn wir unser Gegenüber darauf hinweisen wollen, dass es einen wichtigen Faktor zu bedenken vergessen hat: „Aber was ist mit der Fischerei, deren zerfetzte Kunststoffnetze massenhaft entweder in Tiermägen oder am Strand landen?“ Beide Beispiele sind ein ganz normaler Gebrauch der Frage „Was ist mit …?“ Und weil wir sie in ganz normalen Zusammenhängen benutzen, erscheint uns diese Frage meist unverdächtig.

Zum Whataboutism, also zu einem „Was-ist-mit-ismus“, wird diese Frage dadurch, dass jemand sie bewusst einsetzt, um andere zu manipulieren. Dann ist sie Teil des Gaslightings Fragezeichen © Toxiversum toxischer Menschen. Drei der folgenden Beispiele kannst du auch in dem Artikel „Toxische Methoden in Terror, Krieg und Frieden erkennen“ finden:

  1. Nach dem Terrorangriff der palästinensischen Hamas auf Israel im Oktober 2023, teilten viele Menschen ihren Schock und ihre Trauer über die fast 1.500 Menschen, die bei den Überfällen innerhalb weniger Stunden umgebracht wurden. U. a. ermordeten die Terroristen eiskalt 260 unschuldige Israelis, die ein Festival für Toleranz und Frieden besuchten. Doch sehr bald schon wurden zahllose Beiträge veröffentlicht mit Whataboutismen wie: Und was ist mit den Israelis, mit Netanjahu? Die sind doch auch alle keinen Deut besser! oder Was ist mit den armen Palästinensern, den Kindern? Die sterben täglich, ohne dass es jemanden interessiert! Egal, ob diese Aussagen wirklich stimmen oder nicht: Den Postenden ging es nur darum, die Trauer für die israelischen Opfer und das Mitgefühl für Israel im Keim zu ersticken.
  2. Vor Gericht geht es nach Trennungen/Scheidungen oft darum, ob ein gewalttätiges Elternteil, meist der Vater, ein Sorgerecht erhalten soll, obwohl es sich nie um die eigenen Kinder gekümmert, geschweige denn, sich für sie interessiert hat. Und obwohl es auch gegen die Kinder Gewalt ausgeübt hat. Häufig zahlt das toxische Elternteil keinen Unterhalt, sodass das andere Elternteil (meist die Mutter) in Vollzeit arbeiten muss. Das toxische Elternteil will ganz selbstverständlich die Kontrolle über die Kinder behalten (und damit auch über das andere Elternteil, um sich an diesem zu rächen). Dann kann man beinahe die Uhr danach stellen, dass von Seiten dieses Elternteils ein Whataboutism kommt wie: Was ist denn mit der Mutter? Die arbeitet in Vollzeit und schiebt die Kinder doch eh zu anderen ab!, um von den eigenen Versäumnissen abzulenken und das andere Elternteil als Versager:in darzustellen.
  3. Auch in Diskussionen über körperliche Gewalt ist der Whataboutism gängige Praxis. Hat ein Mann eine Frau vergewaltigt, kommt wie das Amen in der Kirche von irgendwelchen Seiten ein Whataboutism wie: Was ist denn mit der Schuld der Frau? Die hat doch den ganzen Abend mit dem geflirtet! Damit soll die gewünschte Allmacht der Männer wiederhergestellt und die Frauen als Dekorations- und Nutzobjekt eingenordet werden.
  4. Einer der gängigsten Whataboutismen im weltweiten Toxiversum ist dieser: Aber was ist mit dem armen toxischen Menschen?! Der hatte doch so eine schlimme Kindheit. Den muss man doch auch verstehen! Damit soll die Gewalt, die toxische Menschen ausüben, relativiert werden. Hat ein:e Täter:in einen vermeintlich „guten Grund“ für die Gewalt, wirkt sich das in unserem Justizsystem häufig strafmindernd für Täter:innen aus, nimmt aber den Opfern damit die Möglichkeit, wirkliche Gerechtigkeit für das erlittene Leid zu erlangen. Das heißt, die Rechte der Täter:innen zählen auf diese Weise mehr als die Rechte der Opfer.

Was soll „Und was ist mit …?“ tatsächlich heißen?

Mit solchen und ähnlichen Whataboutismen leiten toxische Menschen gerne eine Täter-Opfer-Umkehr ein. Das heißt, damit machen sie sich selbst bzw. die Täter:innen zu vermeintlichen „Opfern“ und verlagern die Schuld (oder mindestens eine vermeintliche Mitschuld) auf die tatsächlichen Opfer. Man nennt diese Täter-Opfer-Umkehr deshalb auch Schuldumkehr. Dabei lenken sowohl die Täter:innen selbst als auch ihre Flying Monkeys Fragezeichen © Toxiversum die Diskussion vom eigentlichen Thema und den tatsächlich Schuldigen ab und schieben die Schuld ausgerechnet auf die, die vollkommen unschuldig sind.

Damit stiften sie meist viel Verwirrung und Verunsicherung. Und sie zwingen das Opfer damit weiter in die Defensive. Denn man überlegt natürlich ganz automatisch, mindestens für einen kurzen Moment, ob da nicht wirklich etwas dran sein könnte. Wir kennen schließlich die Frage „Aber was ist mit …?“ aus harmlosen, ganz alltäglichen Zusammenhängen und nehmen zunächst an, dass es sich jetzt auch wieder um einen solchen handelt. Doch stoßen wir dann auf Ungereimtheiten, wenn wir die Zeit und Möglichkeit bekommen, über diese Frage nachzudenken, kann sich das entwickeln, was wir „kognitive Dissonanz“ Fragezeichen © Toxiversum nennen. Wir wissen dann möglicherweise nicht mehr sofort, was richtig ist: die eine oder die andere Position. Und wir denken weiter nach, vielleicht sind wir auch verunsichert und wir zögern.

Dieses Zögern nutzen toxische Menschen sofort aus, um Druck zu machen. Sie forcieren ihre eigenen Scheinargumente, die immer zu ihren Gunsten ausfallen. Und sie versuchen, ihre Gegenüber noch stärker zu manipulieren. Denn sie wollen deren Denken und Handeln kontrollieren und sie dazu bringen, sich auf ihre Seite zu stellen, sich für sie zu entscheiden und ihnen zu dem zu verhelfen, was sie um jeden Preis haben wollen. Und das ist so gut wie nie etwas, das den Opfern nützt oder der Gesellschaft oder Weltgemeinschaft – es ist in aller Regel nur etwas, das ihnen ganz persönlich Vorteile bringt und dazu führt, dass sie schalten und walten können, wie sie wollen. Dass sie also die absolute Kontrolle haben und andere dominieren können. Manchmal nutzen sie Whataboutism aber auch „nur“, um recht zu haben und sich dadurch gut, überlegen und mächtig zu fühlen. Die Folgen sind ihnen völlig egal.

Welche Folgen kann Whataboutism haben?

Ein Whataboutism kann große Verwirrung anrichten, gerade bei Menschen, die über ein ganz normales Maß an Empathie verfügen. Denn die können sich in beide Seiten einfühlen – zumindest glauben sie es, da sie annehmen, es handle sich bei dem toxischen Menschen um einen ganz normalen Menschen, der ähnlich denkt und fühlt wie sie. Dabei ahnen sie meist nicht, dass der sich keiner Lüge und Manipulation zu schade ist, um ihre Verwirrung und seine Macht und Kontrolle über sie noch zu vergrößern. Und dass er seine Lügen oft glaubwürdiger darstellen kann als das Opfer die Wahrheit. Denn ein toxischer Mensch hatte in der Regel bereits lebenslang Übung darin, andere zu seinen Gunsten zu manipulieren. Das Opfer hingegen hat meist nur einen kurzen Moment – wenn überhaupt –, um die Wahrheit zu schildern. Und Wahrheit ist immer kompliziert, oft voller (scheinbarer) Widersprüche und meistens ziemlich unbequem. Das kann man kaum im Voraus einstudieren, und es ist oft nicht so überzeugend wie die Show eines toxischen Menschen.

Die auf die Whataboutismen folgende Täter-Opfer-Umkehr führt immer wieder dazu, dass Opfer vor Gericht bestraft werden, während Täter:innen straflos davonkommen. Gerichte fällen viel zu häufig Urteile zugunsten toxischer Menschen, selbst dann, wenn sie von deren Gewaltausübung wissen. Und machen ihnen damit den Weg frei zu noch mehr Gewalt. Psychotherapeut:innen raten den Opfern außerdem viel zu häufig, die Schuld „nicht immer auf andere zu schieben“, sondern noch stärker an sich selbst zu arbeiten. Wenngleich die sich häufig schon bis zur Unkenntlichkeit für den toxischen Menschen verbogen haben. So spielen Whataboutismen toxischen Menschen so gut wie immer in die Hände.

Für die Opfer toxischer Gewalt kann die wiederholte Frage „Aber was ist mit …?“ die Gewalt also noch verstärken. Sie kann sie noch mehr isolieren, ihre Hilflosigkeit und Scham noch steigern und im schlimmsten Fall dazu führen, dass sie nicht rechtzeitig oder sogar gar keine Hilfe suchen und bekommen. Weil es so schlimm ja gar nicht sein könne, da es – gemäß der Täter-Opfer-Umkehr – dem anderen (toxischen) Menschen ja angeblich genauso schlecht gehe wie ihnen, wenn nicht sogar schlechter.

Politisch gesehen wird Whataboutism insbesondere von Extremist:innen benutzt, z. B. Frauenhasser:innen, Rechtsextremen und Islamist:innen. Die einen nutzen Whataboutismen bspw., um ihren Hass auf jüdische Menschen zu verbreiten, die anderen auf muslimische Menschen und wieder andere, um beide Gruppen gegeneinander aufzuhetzen. Einig sind sich meist alle in ihrem Hass auf und ihrer Verachtung für Frauen. Angesichts wahl- und skrupellos hetzender Boulevardblätter und ewig drohender Shitstorms in Social Media wird es manchmal schwierig, bei all den Whataboutismen einen klaren Kopf zu behalten oder sogar gegenzuhalten. Erst recht, wenn Andersdenkende und Expert:innen durch Whataboutismen zum Ermüden und zum Schweigen gebracht werden. Zu schnell ist „Gefällt mir“ oder „Teilen“ bei einer halbwegs glaubwürdig scheinenden Aussage angeklickt, ohne nachzurecherchieren (z. B. ob das stimmt oder wer es sagt und aus welchem Grund). Zu schnell wird man dadurch selbst zum Flying Monkey Fragezeichen © Toxiversum und trägt dazu bei, gesellschaftliche und politische Spaltungen zu unterstützen oder zu vergrößern, die sehr viele – bei genauerem Hinsehen – aber gar nicht wollten. So kann Whataboutism neben all den anderen toxischen Methoden auch lokal- bis weltpolitisch zu noch mehr Spaltung und noch mehr Extremismus führen. Die Folgen solchen toxischen Handelns sehen wir in all den Ländern, in denen im 21. Jahrhundert Frauenrechte schon wieder gestrichen werden, in denen so massiv wie zuletzt vielleicht 1933 gegen jüdische Menschen gehetzt und gekämpft wird, und in denen Kriege geführt werden, ohne dass die Angreifenden je zur Rechenschaft gezogen werden.

Whataboutismen können also ihre Berechtigung haben, und sie können harmlos sein. Doch ist das eher selten der Fall, höchstens beim Einkaufen und ähnlichen Alltäglichkeiten. Sollte dir einer begegnen, insbesondere in einem Zusammenhang mit Unstimmigkeiten, Ungerechtigkeiten und Gewalt, dann solltest du immer sehr, sehr hellhörig werden. Denn das, was sich dabei als „Empathie“ verkleidet, ist häufig das genaue Gegenteil. Es verfolgt dann immer den Zweck, abzulenken, zu verwirren, Chaos zu stiften, Wahrnehmungen und Instinkte zu beeinflussen, die Aufmerksamkeit von der eigentlichen Gewalt wegzulenken und einseitig Macht und Kontrolle zu vergrößern. Und es verfolgt so gut wie immer den Zweck, denjenigen Nachteile zu verschaffen, die deine Unterstützung am meisten bräuchten: den tatsächlichen Opfern von toxischen Menschen, toxischer Politik, Extremismus und Terrorismus.

Bitte beachte: Dieses Portal wird ausschließlich zu Informations- und Bildungszwecken bereitgestellt. Die Informationen geben wieder, was einzelne oder viele Menschen erleben bzw. erlebt haben und was ihnen dabei geholfen hat. Die Informationen sind kein professioneller medizinischer, therapeutischer oder juristischer Rat und sollen diesen auch nicht ersetzen. Professionellen Rat hole dir bitte grundsätzlich an den entsprechenden Stellen, bevor du Informationen dieser Website anwendest. Die Ansichten und Meinungen, die hier wiedergegeben werden, entsprechen nicht notwendigerweise den Ansichten und Meinungen der Toxiversum-Redaktion. Und sie sollen niemanden – keinen Menschen, keine Gruppe, keinen Verein, keine Organisation, keine Institution, kein Unternehmen, keine Kultur und keine Religion – verunglimpfen. Alle Tipps und Hinweise, die du hier liest, wurden zwar von vielen Menschen praxiserprobt. Doch es kann leider niemand garantieren, dass sie dir helfen werden. Man kann außerdem nie die Reaktion toxischer Menschen vorhersehen, wenn sie das neue, ungewohnte oder unerwartete Verhalten einer Person irritiert und wenn sie sich dadurch verletzt oder angegriffen fühlen. Bitte achte deshalb immer zuallererst auf deine Sicherheit und suche dir immer – besonders im Notfall, aber nicht nur – Hilfe! Beachte bitte auch den Disclaimer.