Die beste Rache ist ein gutes Leben – das ist das „Toxiversum-Exit-Mantra“. Das heißt, es ist der Leitsatz, der dich bei und nach dem Ausstieg aus jeder toxischen Beziehung begleiten sollte. Und das aus guten Gründen. Aber was bedeutet der Satz wirklich? Und warum ist die beste Rache ein gutes Leben?
Hattest du es mit einem toxischen Menschen zu tun, wirst du im Lauf der Zeit wahrscheinlich sehr viel Negatives erlebt haben: Beschimpfungen, Herabwürdigungen, Demütigungen, Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Lügen, Verdrehung von Tatsachen, Kleinreden deiner Gefühle, Verzerrung deiner Wahrnehmung, Bedrohung, körperliche Gewalt u. v. m. Das alles kann neben dem ganzen anderen Mindfuck verständlicherweise sehr viel Ärger oder Wut in dir hervorrufen.
Warum Rache grundsätzlich keine gute Idee ist
Hast du dich während der Beziehung gegen diese miese Behandlung gewehrt, wirst du es vielleicht immer wieder erlebt haben, dass sich der toxische Mensch an dir auf die eine oder andere Weise gerächt hat. Auch wenn die toxische Beziehung bereits beendet ist, kann es sein, dass sich die Rache fortsetzt.
Diese Racheakte können sehr unterschiedlich ausfallen: von Zerstörung von Eigentum (Lieblingstasse „aus Versehen“ fallenlassen, Autolack zerkratzen, Dokumente verschwinden lassen usw.) und dem Herumprotzen mit deiner Nachfolge über Rufschädigung bis hin zu Anzeigen und endlos in die Länge gezogenen Gerichtsprozessen, die dir seelisch und finanziell erheblich schaden können. Toxische Menschen sind sich in dieser Hinsicht oft für nichts zu schade.
Viele Opfer solcher widerwärtigen Racheaktionen fänden es nur gerecht, wenn sie sich ebenfalls an dem toxischen Menschen rächen könnten. Und auch das ist meistens sehr verständlich. Doch es wäre eine ziemlich schlechte Idee. Warum?
- Toxische Menschen sind Racheprofis. Sie haben ihr Leben lang Übung darin, sich anderen gegenüber bösartig zu verhalten. Dadurch haben sie ihre kleinen und großen Racheaktionen oft so weit perfektioniert, dass ihnen nichts und kein böser Wille nachzuweisen ist. Was sie jahre- oder jahrzehntelang haben einstudieren können, wirst du mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in der Kürze der Zeit aufholen können. Egal, wie gut du dich auf deine Rache vorbereitest: Der toxische Mensch und im Zweifel auch die Behörden werden herausfinden, dass du dahintersteckst. Du wirst dich damit blamieren, und es wird dich möglicherweise teuer zu stehen kommen.
- Hinzu kommt: Rache, so befriedigend sie in der Theorie und in deiner Vorstellung sein mag, ist so gut wie immer schal. Fast nichts von dem, was du dir ausdenkst, wird dem toxischen Menschen so sehr schaden, wie er dir geschadet hat oder wie du es ihm in deinen dunkelsten Momenten wünschst. Schaffst du es dennoch, wirst du anschließend so gut wie nie das großartige, erhebende Gefühl haben, das du dir vorher ausgemalt hast. Du wirst stattdessen – nach dem ersten Triumphgefühl – wahrscheinlich eine gähnende Leere spüren, die umso größer wird, wenn sich der toxische Mensch für deine Aktion wiederum an dir rächt. Der Schaden, den er vorher bereits bei dir angerichtet hat, wird nur noch größer werden. Das ist es einfach nicht wert.
- Dein möglicher Gedanke an Rache zeigt außerdem, dass du dich weiterhin intensiv mit dem toxischen Menschen beschäftigst. Dass er immer noch die gleiche Macht über dich hat, die dich sogar nach dem Ende der Beziehung dazu bringt, ständig an ihn zu denken. Und diese Macht nimmt nach erfolgter Rache nicht ab – du wirst ziemlich sicher auch danach weiterhin an ihn denken müssen, anstatt dich von ihm befreien zu können.
Das alles wird dir keine Gerechtigkeit bringen – denn die ist es ja eigentlich, die du mit deiner Rache erzielen willst. Du willst, dass dieser Mensch angemessen bestraft wird für das, was er dir angetan hat.
Wie du dich dennoch rächen könntest
Es gibt lediglich zwei Wege, auf denen sich dein Wunsch nach Gerechtigkeit erfüllen könnte. Der erste passt nicht zu jeder toxischen Beziehung. Und es gibt leider auch keine Garantie dafür, dass du wirklich Gerechtigkeit bekommst und dir deine Rache nicht am Ende auf die Füße fällt. Der zweite Weg dagegen kann dir die größte und nachhaltigste Befriedigung bringen, die in einem solchen Fall überhaupt möglich ist. Aber erst einmal zu dem ersten Weg.
Der erste Weg ist einer, der sehr viel (und ggf. langfristige) Recherche beinhaltet: der juristische Weg. Doch hierfür musst du eine absolut wasserdichte Dokumentation der schlimmsten Verfehlungen des toxischen Menschen haben. Du musst jede Kleinigkeit nachweisen können und glaubwürdige Zeug:innen haben. Denn toxische Menschen können sich hervorragend als die eigentlichen Opfer in eurer Beziehung darstellen und zahlreiche Beweise dafür gesammelt, verdreht und gefälscht haben. Und sehr viele Richter:innen werden ihnen leider auf den Leim gehen, so wie du diesem Menschen zu Beginn, während der Love-Bombing-Phase , auf den Leim gegangen bist.
Eins der recht seltenen erfolgreichen Beispiele dieser Art ist eine Gruppe ehemaliger Mitglieder der amerikanischen Sekte NXIVM, die jahrelang versucht haben, den Anführer dieser Sekte, Keith Raniere, für seine horrenden, widerwärtigen Straftaten hinter Gitter zu bringen. Sogar der CIA lagen bereits detaillierte Beweise vor, inklusive zahlloser Videoaufnahmen. Es bewegte sich jedoch erst etwas, als eins der Sektenmitglieder, Sarah Edmondson, ihre Geschichte auf der Titelseite der New York Times veröffentlichen konnte. Erst dann wurde Raniere schließlich verhaftet und vor Gericht gestellt. Er sitzt heute wohlverdient eine 120-jährige Haftstrafe ab.
Doch ein Zeitungsbericht garantiert natürlich noch lange keine Haftstrafe. Was die Whistleblower:innen dieser Sekte auf ihrer Seite hatten, war – neben einer sehr guten Anwältin – unglaublich detaillierte Belege aus dem innersten Kreis der Verantwortlichen sowie sehr glaubwürdige Zeug:innen. Und auch du wirst mindestens die Belege benötigen, und zwar legal erlangt, wenn du dem toxischen Menschen an den Kragen willst. Und du benötigst einen sehr, sehr langen Atem. Denn toxische Menschen sind nicht nur Racheprofis, sondern auch Verzögerungsprofis. So gut wie alle, die sich von einem toxischen Menschen haben scheiden lassen oder Sorgerechts- oder Unterhaltsverhandlungen führen mussten, können ein extrem genervtes Lied davon singen. Doch selbst mit den besten Nachweisen und dem längsten Atem der Welt kann es dir immer noch passieren, dass du scheiterst.
Die beste Rache ist ein gutes Leben!
Der zweite Weg ist der des Toxiversum-Exit-Mantras, und er ist der mit riesigem Abstand erfolgversprechendste: Die beste Rache ist ein gutes Leben! Aber was genau heißt das?
Es heißt, dass du dem toxischen Menschen jeden auch noch so winzigen Fetzen Macht über dich entziehst, indem du dich so vollständig wie nur irgendwie möglich von ihm ab- und dir selbst zuwendest. Damit du dir aktiv Unterstützung bei deinem Heilungsprozess suchen kannst (z. B. durch eine traumaorientierte Psychotherapie). Damit Du dich um deine Werte und deine Grenzen kümmern kannst und darum, wie du sie zukünftig konsequent und nachhaltig setzen kannst. Damit deine Wunden heilen können und du dir dein Leben zurückholen kannst. Damit du die Chance hast, dich mit guten Menschen zu umgeben, die dich um deiner selbst willen und aufrichtig mögen, lieben und unterstützen, und die es ausschließlich gut mit dir meinen.
Und warum ist das die beste Rache? Weil du dir ziemlich sicher sein kannst, dass die meisten toxischen Menschen sich teilweise noch jahrelang furchtbar ärgern, weil du ohne sie und ohne ihren Einfluss, womöglich sogar trotz ihrer Sabotageakte und Hoovering-Versuche , endlich (wieder) ein richtig gutes Leben führst. Und weil diese Form der Rache die einzige ist, die dir nicht nur nicht schadet, sondern mit der du dir selbst das größte Geschenk machst. Und das hast du nach der ganzen Tortur ziemlich sicher absolut verdient.