Toxische Kritik hört sich für andere oft harmlos an. Doch ist sie eins der widerwärtigsten Mittel toxischer Menschen, um Macht und Kontrolle über ihre Opfer zu bekommen. Das Äußere des Opfers muss dafür besonders häufig herhalten.
Opfer toxischer Menschen erleben es immer wieder, dass diese Menschen negativ über ihr Äußeres sprechen. Sie verpacken es zunächst als angeblich „gut gemeinten Rat“ und mit „ich meine es wirklich nur nett“. Doch irgendwann sparen sie sich auch diese Show und entwickeln eine große Meisterschaft darin, zu jeder Zeit, bei jedem Anlass, in jedem Rahmen, privat und beruflich, unter vier Augen und im Beisein anderer Menschen eine schneidende Bemerkung über das Äußere ihres Opfers fallenzulassen.
Was toxische Menschen sagen
Für toxische Menschen ist es eine Frage der Macht und der Kontrolle, wenn sie Bemerkungen über das Äußere ihres Opfers machen. Das können Bemerkungen sein wie z. B.:
- „Steh mal gerade!“ (auch wenn du eine krankheitsbedingt krumme Wirbelsäule hast)
- „Hast du schon wieder zugenommen? Du hast dich einfach nicht im Griff!“ (auch wenn du gerade erst abgenommen hast)
- „Iss nicht so viel! Du bist so schon unattraktiv genug.“ (auch wenn du total attraktiv bist und ohnehin schon wenig isst)
- „Das steht dir überhaupt nicht!“ (auch wenn das Kleidungsstück an dir fantastisch aussieht)
- „Es ist ja peinlich, dich so mitnehmen zu müssen – da schäme ich mich doch vor meinen Freunden/Vorgesetzten!“ (auch wenn du einfach großartig aussiehst)
- „Was hast du denn an? Du siehst ja aus wie eine Nutte!“ (auch wenn das, was du trägst, von der Kleidung einer Prostituierten so weit entfernt ist wie ein Weltraumanzug).
Dazu muss man wissen, dass diese Personen in aller Regel wirklich gut oder sogar fantastisch aussehen, sich angemessen und passend kleiden und auch ohne diese Kritik ganz normal auf ihr Äußeres achten. Die Kritik hat keinerlei Basis in der Realität.
Der einzige Grund für diese Kritik ist, dass der toxische Mensch sein Opfer mal wieder demütigen will, weil es entweder seiner Kontrolle entgleitet oder er fürchtet, dass es durch sein Aussehen die Aufmerksamkeit von ihm weg auf sich lenkt.
Besondere Freude bereitet ihm diese Kritik zudem vor anderen Menschen oder vor einem Termin, der für das Opfer wichtig ist. Dennoch wird er von den alltäglichen Abwertungen nicht lassen, weil er weiß, dass sie sein Opfer sehr verletzen und verunsichern.
Welche Wirkung das auf ihre Opfer hat
Bist du mit einem toxischen Elternteil aufgewachsen, hast du vielleicht vom Kindesalter an gelernt, diese ständigen Abwertungen für normal zu halten und die damit einhergehende Verletzung als vermeintliche „Überempfindlichkeit“ abzutun. Du hast gelernt, dich selbst so zu sehen wie das toxische Elternteil es angeblich tut oder tat: nicht als perfekt so wie du bist, sondern als hoffnungsloser Fall, der permanent optimiert werden muss, aber ein (auch nur ansatzweise) akzeptables Aussehen nie erreichen wird (ganz im Gegensatz zum toxischen Menschen, ist klar). Dadurch werden viele Kinder innerlich zutiefst verletzt und verunsichert. Und beides, Verletzung und Verunsicherung, überträgt sich oft auch auf andere Bereiche, nicht nur ihr Äußeres. Und sie begleiten manche lebenslang.
Erschwerend kommt hinzu, dass unsere Gesellschaft ziemlich oberflächlich ist und Menschen oft nur nach ihrem Aussehen und ihrer Kleidung bewertet. Das gibt vielen Menschen schon früh ein Gefühl der permanenten Unzulänglichkeit, auch dann, wenn sie nicht schon als Kinder abgewertet und gedemütigt wurden.
Beginnen toxische Menschen entweder schon in der Love-Bombing-Phase oder gleich danach damit, ihr Opfer durch scheinbar harmlose Hinweise oder Sätze wie: „Ich mag dieses T-Shirt nicht an dir, zieh lieber das an, das ich dir geschenkt habe“ an ihre Manipulationen zu gewöhnen, können sie häufig auf eine bereits vorhandene Verunsicherung aufbauen.
Verletzungen durch toxische Kritik gehen tief
Opfer haben in dieser Phase noch das wunderbare Gefühl, endlich mal wirklich gesehen und für ganz normal oder sogar schön und sexy gehalten zu werden. Doch ist der Fall umso tiefer, wenn es dann mit der unverhohlenen toxischen Kritik losgeht und ihr Äußeres plötzlich auch Spiegel ihres Inneren sein soll.
Sie sind oft zutiefst verunsichert dadurch, denn sie machen alles noch so wie während der Love-Bombing-Phase, sehen genauso aus, kleiden und frisieren sich genauso – doch auf einmal ist das nicht mehr genug. Es gibt toxische Menschen, die sich sogar plötzlich weigern, sich gemeinsam mit ihrem Opfer sehen zu lassen, weil es angeblich zu dick, zu hässlich, zu schlecht gekleidet usw. sein soll. Und das, obwohl das Opfer meist genauso oder besser aussieht als in der Love-Bombing-Phase. Und häufig erheblich besser und fitter als der toxische Mensch!
Wer jedoch selbst die toxische Kritik glaubt und meint, nicht gut genug auszusehen, keinen guten Klamottengeschmack zu haben, unfähig zu sein, sich „anständig“ herzurichten usw., hat dem toxischen Menschen natürlich zunächst kaum etwas entgegenzusetzen. Und Selbstliebe kommt nicht einfach so aus der Luft geflogen, erst recht nicht, wenn du schon seit deiner Kindheit wegen deines Äußeren gehänselt und gedemütigt wurdest. Doch heißt das nicht, dass du nichts dagegen unternehmen kannst!
Toxische Kritik – wie kannst du dich von ihr befreien?
Fang vielleicht im ersten Schritt bei dir selbst an, z. B. netter zu dir selbst zu sein, dich bei den negativen Gedanken zu deinem Äußeren zu stoppen, nicht mehr so oft in den Spiegel zu schauen und dich eine Zeitlang von Zeitschriften, Social Media und Blogs und Vlogs fernzuhalten, in denen es um Aussehen, Mode, Diäten und ähnliche Dinge geht. Denn du weißt, dass dein Selbstbild ein von anderen beeinflusstes ist, keins, dass du selbst aus dir heraus entwickelt hast.
Der toxische Mensch hingegen wird nicht von selbst mit seinen Demütigungen aufhören. Auch nicht, wenn du ihn hunderttausendmal bittest oder unter Tränen anflehst. Vielleicht wird er sich für eine kurze Zeit zurückhalten, doch irgendwann wird es wieder weitergehen wie zuvor.
Was du dann tun kannst, ist Folgendes:
- Lass dich gar nicht auf eine Diskussion über dein Äußeres ein. Lehne es ab, darüber zu reden oder dir auch nur seine „Kritik“ oder (angeblich) „gut gemeinten Anmerkungen“ anzuhören. Bleibe dabei konsequent und setze dem toxischen Menschen Grenzen: „Wenn du dich weiterhin dazu äußerst, muss ich das Gespräch beenden.“ Äußert er sich weiterhin, beende das Gespräch auch wirklich und verlasse den Raum. Und widerstehe, auf das, was er dir vielleicht noch hinterherruft, zu reagieren.
- Anschließend tue dir selbst etwas Gutes – als Ausgleich für das Negative, das du dir soeben anhören musstest. Behandle dich selbst so, wie du ein Kind behandeln würdest, das auf diese Weise gedemütigt wird. Was würdest du mit dem Kind tun – es in den Arm nehmen? Es trösten? Es bestärken? Dann versuche, ganz ähnlich mit dir selbst umzugehen.
Möglicherweise wirst du noch lange nicht an den Punkt kommen, an dem dich toxische Kritik überhaupt nicht mehr kratzt. Das klingt im ersten Moment vielleicht nicht schön, doch ist es nicht nur schlecht. Denn es zeigt, dass du dir deine Menschlichkeit, dein Mitgefühl und deinen weichen Kern erhalten konntest – das ist sehr viel wert! Und bei allem anderen gilt: Hab Geduld mit dir selbst. Was heute nicht klappt, klappt vielleicht morgen oder übermorgen oder nächste Woche/nächsten Monat/nächstes Jahr. Und das ist völlig o. k. so. Ganz egal, was andere sagen.