Woran kannst du eine toxische Gruppe oder Sekte erkennen?
Hast du den vorherigen Text „Was ist eine toxische Gruppe oder Sekte?“ noch nicht gelesen, kannst du das hier tun.
Es ist gar nicht so leicht, eine toxische Gruppe oder Sekte zu erkennen. Denn nach außen hin stellen sie sich mit scheinbar harmlosen, aber wichtigen Zielen dar, die viele Menschen auf den ersten Blick ansprechen. Bei vielen dieser Gruppen/Sekten wirst du zunächst mit einem scheinbaren „Gratis-“ oder „Sonderangebot“ gelockt, z. B. einer Gesprächsgruppe oder einem Kurs zu einem Thema, das dich privat oder beruflich interessiert. Nimmst du daran teil, wirst du durch eine Sache ganz besonders angefixt. Vielleicht ist es das Thema, vielleicht die Art der Präsentation, vielleicht aber auch die Gemeinschaft oder alles zusammen. Und du hast das Gefühl, als sei es ziemlich genau das, was du gesucht hast.
Typische Erkennungsmerkmale einer toxischen Gruppe oder Sekte und ihre Einordnung
So wie ich es im Folgenden schildere, werden Menschen häufig in toxische Gruppen oder Sekten hineingesogen. Es gibt noch andere Wege, doch scheint der hier beschriebene für sehr viele Gruppen sehr ähnlich zu sein. Vielleicht erkennst du nur manches davon aus deiner Gruppe wieder. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass es sich dann nicht um eine toxische Gruppe oder Sekte handelt. Jedes einzelne hier beschriebene Verhalten kann auf eine solche Gruppe oder Sekte hindeuten. Wurdest du in diese Gemeinschaft hineingeboren oder bist schon als Kind mit aufgenommen worden, wirst du manches vielleicht nicht persönlich erlebt, aber auf jeden Fall bei anderen beobachtet – und ganz normal gefunden haben. Doch normal ist absolut nichts an toxischen Gruppen und Sekten.
Du findest sehr schnell Freundschaften
Kommst du als Erwachsene:r hinzu, erscheint dir die Gemeinschaft ganz außergewöhnlich. Alle scheinen an einem Strang zu ziehen und sehr viel Spaß dabei zu haben. Du lernst gleich zu Beginn eine Person kennen, mit der dich sehr viel verbindet – ähnliche Interessen, Vorlieben und/oder Ziele. Ihr versteht euch so gut, dass ihr ab jetzt ganz viel zusammen für die Gruppe macht.
Was du nicht weißt: Sie überwachen dich von Anfang an
Diese Person ist von der Gruppe dazu abgestellt, dich in die Gruppe zu locken. Dafür spielt sie dir die vielen scheinbaren Gemeinsamkeiten vor und weicht dir wie ein Schatten nicht mehr von der Seite. Während du in der Gruppe bist, bist du so gut wie nie mehr allein.
Hier versteht man dich
Überhaupt lernst du in der Gruppe einen ganz außergewöhnlichen Zusammenhalt kennen. Aber du lernst auch, dass die Führungsperson ausnahmslos verehrt wird, was du erst nicht so recht nachvollziehen kannst. Denn diese Führungspersonen sehen meist eher unscheinbar oder sogar sehr unsympathisch aus. Und du bist wahrscheinlich am Anfang ziemlich unterwältigt. Doch diese Führungsperson hört dir zu und scheint dich total zu verstehen. Sie scheint deine Schwächen, an denen du unbedingt arbeiten möchtest, sofort ausmachen zu können. Sie scheint nur dein Bestes zu wollen und dich unbedingt in der Gemeinschaft haben zu wollen. Sie klingt so überzeugend in euren Gesprächen, dass du jetzt nachvollziehen kannst, warum andere sie auf ein Podest heben.
Was du nicht weißt: Sie horchen dich aus, um dich besser manipulieren zu können
Die Führungsperson kennt deine Schwächen, weil dein Schatten ihr davon ausführlich Bericht erstatten musste. Sie will nur dein Bestes, aber das ist nicht das, was du unter dem Begriff verstehst. In ihren Augen ist dein Bestes dein Geld, deine Empathie, dein Arbeitsethos, dein Enthusiasmus und die Tatsache, dass sie dich einwickeln, manipulieren und zu massenhaft kostenloser und klagloser Arbeit für sie bringen kann, von der hauptsächlich ein Mensch profitiert: die Führungsperson.
Du engagierst dich sehr für die Gruppe
Auf das erste Gratis- oder günstige (Kurs-) Angebot folgt ein Angebot, das ziemlich teuer ist. Aber alle, auch dein Schatten, sagen, dass es sich total lohne. Denn die Gruppe sei etwas Besonderes. Die Führungsperson (oder ihr:e bereits verstorbene:r Vorgänger:in) sei die einzige in unserer Gesellschaft oder auf der Welt, die wirklich Ahnung habe. Sie habe die einzige Vorgehensweise entwickelt, die dich garantiert an deine Ziele führen würde.
In diesem Glauben kratzt du dein Geld zusammen und machst weiter. Und du bringst dich sehr in die Gruppe ein. In der Regel ist das Rekrutierungsarbeit (also neue Mitglieder zu gewinnen) oder eine Arbeit, die deinen Fähigkeiten oder deinem Beruf entspricht. Bist du z. B. handwerklich begabt, baust und reparierst du alles mögliche im und am Haus der Gruppe. Oder bist du Anwält:in, regelst du die juristischen Dinge der Gruppe. Alles ehrenamtlich. Mit der Zeit merkst du, dass du immer mehr von deiner (Frei-) Zeit für diese Gruppe aufwendest. Rekrutierst du fleißig neue Mitglieder, bekommst du vielleicht einen Bonus für jedes Mitglied, das sich für den ersten teuren Kurs anmeldet oder der Gruppe verpflichtet. Ansonsten fließt Geld wahrscheinlich immer nur von dir zu der Gruppe.
Was du nicht weißt:
Du sollst so viel unbezahlte Arbeit für die Gruppe leisten wie möglich. Denn der Gruppe ist es egal, ob du genug Geld zum Leben, bei Krankheit und für die Rente hast. Die Hauptsache ist: Du bist widmest dich möglichst ausschließlich der Gruppe, damit die von deiner Tatkraft profitieren und dich dabei schön unter Kontrolle haben kann. Gleichzeitig bindet dich die Gruppe immer stärker an sich, indem sie dir immer weitere, immer teurere (Kurs-) Angebote vor die Nase hält. Du machst natürlich mit, denn du bist noch lange nicht an deinem Ziel.
Du besprichst immer mehr mit der Gruppe
Zunehmend besprichst du jede wichtige Frage mit deinem Schatten und den Menschen, die in der Gruppenhierarchie über dir stehen. Auch wenn du manche ihrer Tipps und Entscheidungen nicht nachvollziehen kannst, hältst du dich an ihre Vorgaben, denn sie wissen es schließlich besser als du. Sie sind ja schon länger in der Gruppe und viel tiefer im Thema, viel erfahrener als du. Du fühlst dich einerseits verunsichert, andererseits aber auch aufgehoben.
Was du nicht weißt:
Je mehr du die Gruppe fragst, desto abhängiger wirst du von ihnen. Denn sie treffen andere Entscheidungen als die, die du normalerweise treffen würdest. Du verstehst noch nicht, warum das so ist. Doch du vertraust ihnen. Und dadurch verlierst du, wie von der Führung geplant, mit der Zeit die Fähigkeit, deine eigenen Entscheidungen zu treffen. Außerdem: Je mehr die Gruppe über dich weiß, je mehr du ihr anvertraust, desto mehr hat die Gruppenführung gegen dich in der Hand, solltest du irgendwann einmal gegen sie vorgehen wollen.
Du lernst enorm viel
Was du in den Fortbildungen und von den einzelnen Gruppenmitgliedern lernst, scheint exakt das Puzzleteil zu sein, das dir in deinem Leben noch gefehlt hat. Du hast das Gefühl, hier lernst du wirklich wichtige Dinge, vielleicht sogar das Wichtigste überhaupt. Und du fragst dich, warum der Rest der Welt das nicht auch lernen will. Wie es sein kann, dass manche diese Themen, Methoden oder Weisheiten banal oder krude finden oder sogar ablehnen. Warum die Gruppenführung nicht schon längst top Anerkennungen oder sogar einen Nobelpreis bekommen hat. Und du folgerst, dass die Gesellschaft wohl noch nicht so weit ist. Dass sie auch noch dazulernen muss, damit sie erkennt, dass die Ziele der Gruppe eigentlich die besten Ziele für die Menschheit sind. Oder zumindest für all jene, die so sinnsuchend und orientierungslos sind, wie du es mal warst, und ähnliche Ziele haben wie du.
Was du nicht weißt:
Die Doktrin der Gruppe basiert auf gezielt zusammengestückelten Sachen, die sich die Gruppenführung für ihre eigenen Ziele zurechtgelegt hat:
• Weisheiten und Zitate tatsächlicher großer Denker:innen, Schriftsteller:innen oder Berühmtheiten,
• selektive Fehlinterpretationen oder extrem rückständige Auslegungen von Texten (z. B. der Bibel, dem Koran oder buddhistischen Schriften)
• und/oder Hirngespinste und unbelegbare, oft frei erfundene, krude und verschwörungstheoretische Behauptungen der Gruppenführung und anderer Leute.
Vieles davon passt gar nicht zusammen. Aber was nicht passt, wird irgendwie passend gemacht. Und die Gruppe versucht dich mit Hilfe eines Weisheiten- und Wortsalats schwindelig zu reden. Gleichzeitig wird dir suggeriert, dass du erst noch mehr lernen musst, damit du das alles verstehen kannst. Dass du noch nicht auf der richtigen Entwicklungsstufe oder noch nicht reif genug bist. So wird deine Kritik gedämpft, und du gibst dir Mühe, immer mehr zu lernen, um alles verstehen zu können und vielleicht auch irgendwann einmal so viel Weisheit zu besitzen.
Du lernst außerdem sehr viel Neues in dieser Gruppe. Einiges davon ist zwar ziemlich banal, aber manches erscheint dir total neu und einleuchtend. Und anderes musst du unbesehen glauben, auch wenn es dir eher merkwürdig erscheint. Der Sog der Gemeinschaft macht dir das alles aber ziemlich leicht. Vielleicht stößt einiges bei dir auf inneren Widerstand. Denn es widerspricht vollkommen dem, wofür du in deinem bisherigen Leben gestanden oder woran du bislang geglaubt hast. Doch du hast das Gefühl, ohne diese Gruppe gar nicht mehr leben zu können. Und sie sagen dir, dass dein innerer Widerstand das Hauptproblem dabei sei. Dass du den nur überwinden musst, um deine Ziele zu erreichen. Dass deine absolute Loyalität und Treue der Gruppe gegenüber die einzige Basis sei, auf der du deine Ziele erreichen könntest.
Was du nicht weißt:
Dein innerer Widerstand ist mitnichten ein Problem. Ganz im Gegenteil! Er ist deine wichtigste Stütze, dein inneres Warnsystem, das dir sagt, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Dieses System will die Gruppe jedoch ausschalten, um dich noch abhängiger zu machen.
Und: Kritik ist in dieser Gruppe nicht erwünscht. Die Mitglieder haben sich kommentarlos allen Anordnungen zu beugen und ansonsten den Mund zu halten. Wer fortwährend Kritik äußert, muss mindestens mit einer Maßregelung von oben, meist aber mit Strafen rechnen, manche davon sogar drakonisch. Das kann eine Herabstufung sein, dass man z. B. eine Prüfung oder einen Kursabschluss (wieder) nicht schafft. Es kann der Entzug von Privilegien sein, oder dass andere Gruppenmitglieder sich von dir abwenden (müssen). Es kann aber auch ein Rauswurf aus der Gruppe sein – und das heißt: Ohne Geld, ohne Job, ohne Freundeskreis und Familie und (womöglich im fremden Ausland und ohne Papiere) nochmal ganz neu anfangen zu müssen. Denn der Kontakt der Gruppe zu ehemaligen Mitgliedern wird untersagt. Es soll/darf auch in der Gruppe nicht einmal mehr über die Ehemaligen gesprochen werden. Wer gegen das Kontaktverbot verstößt, wird ebenfalls bestraft. Wie es den Betroffenen hüben und drüben geht, ob sie klarkommen oder nicht, ist der Gruppenführung völlig egal. Sollten die Aussteiger:innen es wagen, draußen öffentlich Kritik an der Gruppe und Führung zu äußern, müssen sie mit Verfolgung, Bespitzelung, langwierigen Gerichtsprozessen und einem sehr öffentlichen Rufmord rechnen. Für diesen sind sich manche Gruppen auch nicht zu schade, die in den Gruppen verbliebenen Familienmitglieder dazu zu nötigen, sich öffentlich gegen das ehemalige (Familien-) Mitglied zu stellen.
Die Gruppe hat ihre eigene Sprache
Die Gruppe hat auch teils ihre ganz eigene Sprache – sie benutzt bestimmte Begriffe, die nur in dieser Gruppe benutzt werden. Eigentlich gibt es für diese Dinge bereits feststehende Begriffe, doch die Gruppe hat sie umbenannt. Du findest das wahrscheinlich kurios, aber denkst, das ist eine harmlose Marotte, die du akzeptieren kannst. Und irgendwie ist es auch cool, dass nur ihr wisst, was das alles bedeutet.
Was du nicht weißt:
Diese eigene Sprache hat den Zweck, die Gruppe sowohl nach innen als auch nach außen als etwas sehr Besonderes zu kennzeichnen. Sie dient außerdem dazu, euch von anderen Menschen „da draußen“ zu isolieren, die Gruppe abzuschotten. Denn niemand wird Lust haben, sich immer wieder die schrägen Blicke anderer Menschen anzutun, wenn man von den in der Gruppe selbstverständlichen Begriffen spricht. Niemand will immer alles erklären müssen. Das Leben soll dir auch deshalb leichter in der Gruppe erscheinen. Denn du sollst den Eindruck haben, dass dich nur dort alle wirklich verstehen.
Du hältst dich an die Gruppenregeln
In der Gruppe herrschen bestimmte Vorschriften, an die sich alle halten. Diese Vorschriften beziehen sich z. B. auf tägliche Rituale oder Übungen, sdeine Ernährung, deine Kleidung, dein Verhalten und deine Aufgaben innerhalb und außerhalb der Gruppe. Alles sollst du nach Möglichkeit so tun, wie die Gruppe es vorgibt. Auch deine Partnerschaft und die Erziehung deiner Kinder unterliegt bestimmten Vorgaben. Wer diese nicht einhält, muss mit Bestrafungen und Ausgrenzung rechnen.
Was du nicht weißt:
Mit diesen Vorschriften grenzt die Gruppenführung deine Freiheit vollständig ein. Du darfst nichts mehr selbst entscheiden. Alles wird dir vorgegeben. Zum einen testet die Gruppenführung mit absurden Regeln deine Gefolgschaft und verstärkt gleichzeitig deine Abhängigkeit von der Gruppe. Vielleicht schränkt sie bspw. dein Essen oder deine Ruhe- und Schlafenszeit so sehr ein, dass du massiv abnimmst und immerzu müde bist. Zum anderen schafft sie dadurch auch Loyalitätskonflikte, die dich noch abhängiger machen sollen. Denn will z. B. dein:e Partner:in nicht mehr mitmachen oder wehren sich deine Kinder gegen drakonische Strafen, dann stehst du automatisch vor der Frage: Auf wessen Seite stehe ich? Auf der meiner Partnerin/meines Partners und meiner Kinder? Oder auf der der Gruppe? Somit siebt die Gruppenführung die aus, die nicht zu 100 Prozent der Gruppe gegenüber loyal sind. Zum Schaden der Beziehungen, der Kinder und immer auch zu deinem eigenen Schaden.
Du arbeitest sehr hart für die Gruppe
Deine Aus- oder Fortbildungen in der Gruppe hören nicht auf. Eigentlich kannst du sie dir weder finanziell noch zeitlich leisten, aber du kannst auch nicht einfach aufhören. Denn das hätte Konsequenzen für dich und deinen Status in der Gruppe. Und du willst ja deine Ziele schließlich erreichen. Also schuftest du, machst womöglich Schulden, schläfst nur noch wenige Stunden in der Nacht, reibst dich auf für die Gruppe und kannst deine Schulden dennoch nie völlig abarbeiten. Eine medizinische Vorsorge wird nicht unterstützt, und du erhältst keine Rentenzahlungen. Eventuell hat die Gruppe eigene Ansprechpartner:innen für medizinische und psychologische Themen. Ob das wirklich ausgebildete Fachkräfte sind, kannst du nicht herausfinden. Doch sie sind für die körperlichen und mentalen Probleme der Mitglieder zuständig. Du akzeptierst das, denn du vertraust der Gruppenführung, die dir ja den Eindruck vermittelt hat, sie wolle nur dein Bestes.
Was du nicht weißt:
Der Gruppenführung ist herzlich egal, wie es dir geht. Du sollst einfach nur funktionieren und ihr dazu verhelfen, ihre eigenen Ziele (Macht, Kontrolle, Dominanz, Geld und Ansehen) zu erreichen. Du bist austauschbar. Aber solange du da bist, sollst du mit aller Macht und in allen Faktoren deines Lebens von der Führung abhängig sein und ackern. Die Ansprechpartner:innen werden deshalb so gut wie immer im Sinne der Gruppenführung „diagnostizieren“ und Behandlungen „verschreiben“. Wirst du unter dem ganzen Druck und Stress krank, wird das wahrscheinlich dir selbst in die Schuhe geschoben: Du seist nicht engagiert genug, würdest immer noch zu sehr an der Gruppe oder ihren Zielen zweifeln usw. Selbst schwere Krankheiten wie Krebs werden auf deine eigenen angeblichen Unfähigkeiten geschoben. Dadurch versucht die Gruppenführung ihre Verantwortung für dein Wohlergehen auf dich abzuwälzen.
Du gibst der Gruppe alles von dir
Hat die Gruppe ihren Sitz eigentlich woanders, z. B. in einer anderen Stadt oder im Ausland, wirst du bei „guter Führung“ bald dazu eingeladen, deine Zelte abzubrechen und dich der Gruppe anzuschließen. Oder du wirst vor die Wahl gestellt: umziehen oder austreten. Viele Menschen geben dann tatsächlich alles auf: Job, Familie, Kinder, Freundeskreis – und lassen sich auf dieses vermeintlich sichere Abenteuer ein. Manche übergeben sogar ihre gesamten Ersparnisse, Lebensversicherungen, Immobilien usw. der Gruppe, um deren Arbeit zu unterstützen.
Was du nicht weißt:
Du sollst durch das Abbrechen deiner Zelte komplett von deinem alten Umfeld isoliert werden. Denn du sollst dich in Zukunft alleine von der Führungsperson der Gruppe leiten lassen. Sie will vollständig über dich und dein Leben bestimmen und alles kontrollieren. Je weiter weg du von all den Menschen bist, die dir etwas bedeuten und die Einfluss auf dich haben, desto größer die Einflussmöglichkeiten der Gruppenführung. Deshalb nötigt sie dir auch möglichst viel Geld ab. Sie will dadurch nicht nur selbst in Saus und Braus leben können. Sie will dich auch endgültig abhängig von der Gruppe machen. Denn dieses Geld wirst du mit großer Wahrscheinlichkeit nie wiedersehen. Ohne dieses Geld kannst du dir aber auch nicht vorstellen, dir ein Leben außerhalb der Gruppe neu aufzubauen. Überhaupt weißt du womöglich gar nicht (mehr), wie das Leben da draußen überhaupt funktioniert. Du bist abhängig und gefangen, und genau das sollst du sein.
Die Gruppe hat Antworten auf alle deine Fragen
Mit der Zeit merkst du, dass es viele Dinge an dieser Gruppe gibt, die du nicht verstehst. Versuchst du, etwas darüber herauszufinden, wird das von der Gruppe nicht immer gern gesehen oder unterstützt. Vielleicht wird dir sogar vorgeschrieben, bestimmte Websites nicht zu besuchen oder bestimmte Autor:innen nicht zu lesen. Stattdessen bekommst du Material von der Gruppe, das dir alle deine Fragen beantworten soll. Was du dort liest, klingt wahrscheinlich plausibel genug, um dich nicht woanders noch weiter zu informieren. Vielleicht traust du dich gar nicht mehr, mit jemandem darüber zu sprechen. Du weißt vielleicht gar nicht mehr, wer in der Gruppe so etwas nicht an die Gruppenführung weitergeben würde. Also behältst du deine Fragen und Zweifel für dich.
Was du nicht weißt:
So übernimmt die Gruppe die Kontrolle darüber, welche Informationen du bekommst und welche nicht. Die Informationen, die du erhältst, sind ausschließlich sorgfältig ausgewählte Informationen, die die Aussagen der Gruppe und der Gruppenführung unterstützen oder zu unterstützen scheinen. Sie sollen deine Zweifel übertönen oder, noch besser, komplett ausradieren. Du sollst 100-prozentig an die Ziele und Aktivitäten der Gruppe glauben. Diese Informationen sind allerdings häufig irreführend und aus den Zusammenhängen zitiert oder schlicht falsch.
Du tust Dinge, die du früher nie getan hättest
Manche der Dinge, die du tun sollst, widerstreben dir womöglich sehr. Sie verstoßen vielleicht gegen deine Prinzipien oder gegen Gesetze. Vielleicht sind sie so unmoralisch, unmenschlich oder abstoßend, dass du sie normalerweise niemals über dich bringen könntest. Immer wieder wird dir gesagt, dass auch dies dein Problem sei, das du überwinden müsstest. Dass du sonst deine Ziele nicht erreichen oder der Gruppe schaden würdest. Oder du machst mit, weil es heißt, es sei göttlicher Wille oder der Führung in einem Traum/einer Vision gekommen. Vielleicht ist auch der Gruppendruck zu hoch um dich zu weigern. Oder dir werden gravierende Konsequenzen angedroht, wenn du dies nicht tust (aus der Gemeinschaft ausgestoßen zu werden, in die Hölle zu kommen o. Ä.). Wahrscheinlich glaubst du mit der Zeit, dass dieses Verhalten eigentlich nötig und normal sei. Und du verstehst nicht mehr, warum du jemals anders gedacht hast. Vielleicht schiebst du das auf die spießige, fehlgeleitete oder sündhafte Gesellschaft, die den richtigen Weg einfach nie sehen wolle.
Was du nicht weißt:
Die Gruppenführung will endgültig Kontrolle über dich erlangen, indem sie dich dazu bringt, selbst deine eisernsten Grenzen zu überschreiten. Sie behauptet, es sei nur zu deinem Besten und zum Besten der Gruppe. Dazu lagert sie die Verantwortung auch gerne aus, z. B. sei es die angebliche Anweisung einer göttlichen Instanz oder die vermeintliche Hellsicht durch eine angebliche Vision/einen Traum. Hast du aber einmal etwas getan oder zugelassen, das du früher niemals wolltest oder strikt abgelehnt hättest, gibt es scheinbar nie wieder ein Zurück für dich. Danach stumpfst du womöglich Gefühlen wie Scham oder Schmerz gegenüber immer weiter ab. So lange, bis du selbst das extremste Verhalten und vielleicht auch extreme Gewalt dir, deinen Kindern oder auch anderen Menschen gegenüber als normal empfindest.
Die Gruppe ist wichtiger als alles andere
Sprechen dich Menschen außerhalb der Gruppe auf deine Veränderungen an oder üben Kritik an der Gruppe, verteidigst du die Gruppe, selbst Dinge, die du nicht magst oder die dir widerstreben. Sind die anderen mit den Redetaktiken, die du in der Gruppe gelernt hast, nicht zu überzeugen, brichst du das Gespräch, vielleicht sogar den Kontakt ab. Und du denkst: Ja, die Gruppe hatte recht mit dem, was sie über andere „da draußen“ gesagt hat.
Der Gruppengedanke und die Ziele der Gruppe beherrschen alle und alles. Jedes Mitglied hat seine individuellen Ziele denen der Gruppe unterzuordnen. Tut es das nicht oder verstößt es gegen die Gruppenregeln, erfolgt meist eine Bestrafung, denn es ist üblich in der Gruppe, (vermeintliches) Fehlverhalten zu melden. Die Gruppe hält fest zusammen. Sie müsse es, sagt man dir, denn die restliche Gesellschaft stünde euch nicht unbedingt positiv gegenüber. Es werde gegen euch intrigiert, man versuche, euch zu stoppen. Denn bestimmte oder alle anderen Menschen könnten es nicht ertragen, dass etwas so richtig und gut sei wie diese Gruppe, und dass ihr als einzige den richtigen Weg zu euren Zielen wüsstet. Man sagt dir, ihr würdet bestimmten Menschen und Organisationen sogar gefährlich, weil ihr sie auf deren (angebliche) Vermessenheit, Heuchelei und Doppelmoral hinweisen und ihnen das Wasser abgraben würdet.
Was du nicht weißt:
Hier wird häufig Projektion eingesetzt, d. h. das Verhalten der Gruppenführung oder Gruppe wird auf das Verhalten der Menschen draußen projiziert. Wirft sie den Menschen da draußen z. B. Doppelmoral vor, ist in Wirklichkeit sie selbst es, die sich so verhält. Behauptet sie, die Welt da draußen sei unmoralisch, sündig, die Hölle, dann ist das immer ein Zeichen dafür, dass sie selbst genau das ist. Sie greift dabei aber gerne auch zu (häufig klar belegbaren) Lügen und Halbwahrheiten. Durch das überzogen, verzerrt oder falsch dargestellte dämonisierte Bild der Außenwelt hältst du dich jedoch automatisch von dieser fern. Du konzentrierst dich voll und ganz auf die Gruppe und bist damit noch leichter manipulierbar und kontrollierbar.
Die Gruppe hat exakte Vorschriften in Bezug auf Kinder
In manchen Gruppen sind Schwangerschaften nicht erwünscht. Und es wird einiges unternommen, um sie zu unterbinden (z. B. über eine vorgeschriebene stark reduzierte Ernährung). In anderen Gruppen ist es Pflicht, möglichst viele Kinder zu bekommen. Werden sie in die Gruppe hineingeboren oder bringst du bei deinem Eintritt Kinder mit in die Gruppe, werden sie ausschließlich im Sinne der Gruppe erzogen. Vielleicht werden sie sogar fremderzogen, also nicht von den eigenen Eltern, sondern von anderen Mitgliedern der Gruppe. Die Kinder gehen entweder in KiTas oder Schulen der Gruppe oder erhalten nach der regulären Schule weiteren Unterricht in der Gruppe. Danach werden sie zu Arbeiten herangezogen, die oft zu schwer für ihr Alter sind, aber als „Erziehungsmaßnahme“ tituliert werden. Was die Gruppenführung beschließt, müssen die Kinder tun oder hinnehmen. Das gilt für ihre Bildung und Strafmaßnahmen für angebliches Fehlverhalten genauso wie z. B. für die Berufswahl, Freundschaften, Beziehungen/Ehen und Wohnorte.
Was du nicht weißt:
Eigene Kinder würden zu viel Aufmerksamkeit und Tatkraft von der Gruppe nehmen. Und sie würden die Mutter bspw. auch für die Gruppenführung nicht mehr (sexuell) attraktiv oder verfügbar machen. Deshalb lehnen manche Gruppen Kinder bzw. Schwangerschaften ab. Und sehr viele Frauen verlieren dadurch die Zeit und die Möglichkeit, jemals eigene Kinder zu bekommen.
Werden Kinder in die Gruppe hineingeboren oder mitgebracht, werden sie von Anfang an gehirngewaschen und als eiserne Verfechter:innen der Gruppe herangezogen. Sie müssen exakt im Sinne der Gruppe agieren. Zuwiderhandlungen werden oft extrem hart bestraft. Kinder müssen auch die Rollen akzeptieren, die ihnen die Gruppenführung vorschreibt. Dies sind oft sehr stereotype Rollen (Mädchen müssen z. B. in der Hauswirtschaft, Jungen handwerklich etc. arbeiten). Außerdem werden Kinder in solchen Gruppen meist schon sehr früh extrem sexualisiert. Sie werden häufig von den Eltern entfremdet, um sowohl die Kinder als auch die Eltern einzeln besser kontrollieren und um ihnen ungehindert Gewalt antun zu können. In einigen toxischen Gruppen und Sekten müssen Kinder sehr früh lernen, körperliche und sexuelle Gewalt als etwas Normales zu akzeptieren, das sie hinzunehmen haben. Und das, obwohl beides in Deutschland verboten ist.
>> weiter zu: Die Folgen einer Mitgliedschaft in einer toxischen Gruppe oder Sekte
Einige weitere Informationen zu Sekten findest du hier:
- „11 Dinge, die du über Sekten wissen solltest“
- „Warum tritt jemand einer Sekte bei?“
- „Gemeinsamkeiten und Unterschiede von toxischen Menschen und Sekten“
- „Was ist kommunaler Narzissmus?“
Mehr über die Red Flags und Methoden toxischer Menschen findest du hier.
Und mehr dazu, wie du dich vor diesen Methoden schützen kannst, findest du hier.