Kommunaler Narzissmus ist eine der schlimmsten Formen toxischen Verhaltens, die uns immer wieder v. a. bei sozialen und wohltätigen Zwecken begegnet. Das heißt, sie ist bei Benefizveranstaltungen genauso zu finden wie in Schulen, der Medizin oder der Politik. Doch woran kannst du kommunalen Narzissmus erkennen?
Der kommunale Narzissmus beinhaltet viele Züge der anderen Formen toxischen Verhaltens. Doch das Detail, das ihn hauptsächlich von den anderen Formen unterscheidet, ist auch gleichzeitig das erschütterndste. Kommunale Narzisst:innen spielen nämlich auf besonders perfide Weise mit dem Vertrauen der Menschen.
Kommunale Narzisst:innen sind (scheinbar) sehr engagiert
Narzissmus ist ein toxischer Persönlichkeitsstil. Narzisst:innen zeichnen sich durch eine oft extreme Anspruchshaltung aus, durch Arroganz, Oberflächlichkeit und einen eisernen Glauben an ihre eigene Großartigkeit. Sie haben wenig oder gar keine emotionale Empathie. Und das bisschen, das sie haben, setzen sie meist sehr selektiv und mit Absicht ein. Denn die Ziele aller toxischen Menschen sind auch die der Narzisst:innen: möglichst viel Macht, Kontrolle und Dominanz zu erlangen. Im Unterschied z. B. zu Psychopath:innen brauchen Narzisst:innen jedoch außerdem narzisstisches Futter
.Kommunale Narzisst:innen sichern sich diese Bestätigung, Anerkennung und Bewunderung auf besonders perfide Weise: Sie engagieren sich im sozialen und wohltätigen Bereich. Das heißt, sie suchen sich eine Bühne mit möglichst viel Einfluss, möglichst hohem Ansehen, möglichst großem Publikum und – im besten Fall – möglichst viel Aufmerksamkeit durch die Öffentlichkeit. Denn je mehr Menschen ihnen folgen, desto mehr narzisstisches Futter bekommen sie ja. Die gewünschte Bestätigung, Anerkennung und Bewunderung wollen sie in einem quantitativen und qualitativen Ausmaß bekommen, das ihnen (so glauben sie) aufgrund ihrer Großartigkeit selbstverständlich zusteht. Diese Großartigkeit betonen sie deshalb auch gerne. Manche tun das sehr großspurig und mit der endlosen Wiederholung einer gesprungenen Schallplatte oder eines nervtötenden Loops. Manche tun äußerst bescheiden, sorgen aber immer auf verschiedene Weise dafür, dass alle es dennoch erfahren, wieder und wieder.
Sie inszenieren sich als gute, engagierte Menschen
Typische Berufe und Aktivitäten kommunaler Narzisst:innen finden sich z. B. im Lehramt, in der Medizin, der Psychotherapie, der Politik, in Vereinen, bei Benefizveranstaltungen, in der Kultur, in gemeinnützigen oder Wohltätigkeitsorganisationen sowie im religiösen und spirituellen Umfeld. Und überall bevorzugt in Führungs- und anderen Spitzenpositionen. Also dort, wo sie mit möglichst wenig zusätzlichem Aufwand eine möglichst große Gruppe sowohl potenzieller Anhänger:innen als auch von ihnen Abhängiger vorfinden. Sie nehmen sie alle mit ihrem Charme, schönen Versprechen oder anderen Manipulationsmethoden schnell für sich ein und überzeugen sie immer wieder aufs Neue von ihrer (vermeintlichen) Großartigkeit. Diese Gruppe können sie bei öffentlichen Veranstaltungen, Presseterminen und über Social Media ohne viel Anstrengung immer erweitern.
Kommunale Narzisst:innen sind große Selbstdarsteller:innen. Manche treten sehr bescheiden auf, andere drängen sich immer in den Mittelpunkt. Sie alle präsentieren sich als wohlwollende Gönner:innen, als gute, großzügige, engagierte Menschen, als erfahrene, weise Menschen und als Weltverbesserer:innen oder Weltretter:innen. Dieses Bild inszenieren sie, indem sie öffentlichkeitswirksam Gutes tun und sich als Wohltäter:innen darstellen. Häufig engagieren sie sich in einem Job, Ehrenamt oder für ein Thema, die ohnehin gerade aktuell sind und Schlagzeilen garantieren, oder in Nischen, die nur wenige belegen. Oft behaupten sie, schon immer für dieses Thema gekämpft zu haben. Doch das entspricht längst nicht immer der Wahrheit – genauso wie das Bild, das sie nach außen transportieren, nicht der Wahrheit entspricht.
Hinter der Maske verbergen sich Hinterhältigkeit, Intrigen und Berechnung
Zu Beginn kreieren diese toxischen Menschen gerne eine warme, positive Atmosphäre um sich herum und tun so, als würden sie sich ehrlich für dich und dein Anliegen, deine Sorgen (oder die anderer) interessieren. Du und alle anderen sollen denken: Wow, was für ein guter Mensch! Und ihr alle sollt euch schnell und leicht für ihre Zwecke einspannen lassen. Die Verlogenheit dahinter bemerken die meisten Menschen erst sehr spät oder sogar nie.
Hinter der charmanten, wohltätigen Maske und all den schönen Versprechungen kommunaler Narzisst:innen verbirgt sich leider immer ein hinterhältiger, intriganter, berechnender Mensch. Er handelt, wie die meisten toxischen Menschen, stets mit Absicht, auch dann, wenn er es wie ein angebliches „Versehen“ aussehen lässt. Und seine Worte und Taten stimmen – wie so oft bei toxischen Menschen – nicht überein.
So lassen sich viele kommunale Narzisst:innen z. B. gerne bei Preisverleihungen oder Presseterminen fotografieren und sagen bewegende Worte … während andere im Hintergrund die eigentliche Arbeit machen. Denn, wie viele toxische Menschen sind auch kommunale Narzisst:innen häufig äußerst faul. Ihnen ist der eigentliche Sinn und Zweck ihrer Tätigkeit längst nicht so wichtig, wie die Möglichkeit, dabei gut auszusehen und großartig rüberzukommen.
Hinter verschlossenen Türen kann es höllisch werden
Kommunale Narzisst:innen haben wenig bis gar keinen Respekt für jene, für die sie sich vermeintlich einsetzen. Denn sie setzen sich ja nur für sie ein, um bewundert zu werden, nicht, weil sie denen aus tiefstem Herzen etwas Gutes tun wollen oder sich für sie wirklich interessieren. Manchmal kannst du es ihnen sogar ansehen und anhören, dass sie für die, denen sie angeblich so gerne helfen, in Wirklichkeit nur Verachtung übrig haben.
Vor Publikum treten sie also sehr empathisch und zugewandt auf. Doch sowie die Kameras aus sind und die Türen wieder geschlossen, zeigen sie ihr wahres Gesicht. Und das kann höllisch werden. Erbarmungslos scheuchen sie ihre Helfer:innen und ihre Familie herum, gaslighten
, kontrollieren und kritisieren sie, werten sie ab und demütigen sie. Sie wenden jede Form der seelischen, emotionalen, körperlichen, finanziellen, digitalen usw. Gewalt an, um ihren Willen zu bekommen. Und sie nehmen andere aus und übervorteilen sie, nur damit sie selbst und ihr Engagement gut aussehen. Am Ende gewinnt immer nur eine einzige Person: die narzisstische.Bewunderst du ihre Arbeit oder ihr Engagement nicht so, wie sie sich das vorstellen (und wie sie das ihrer Meinung nach verdient haben), oder hinterfragst du womöglich ihr Handeln und ihre Motive, können sie sehr wütend, abwertend und verletzend werden. Insbesondere dann, wenn du ihre Bigotterie, also ihre Scheinheiligkeit, durchschaut hast. Ihre Wut auf dich tragen sie teilweise auch vor anderen aus, vor den anderen Mitarbeitenden oder sogar in aller Öffentlichkeit (manchmal sogar vor der Presse, vor Mandatsträger:innen, Entscheider:innen, Finanzier:innen usw.). Dabei lästern sie über dich, reden dich schlecht, verbreiten Lügen über dich und/oder starten eine Rufmordkampagne oder einen anderen Rachefeldzug – auch mit Hilfe ihres treuen Fanclubs, den sie gegen dich aufwiegeln. Sie isolieren dich von deinem Umfeld. Und sie belügen und betrügen dich und andere massiv, nur um euch zu schaden und sich selbst zu nützen.
Innerhalb ihrer eigenen Familie zeigen sie auch meist ein völlig anderes Gesicht als das, das sie nach außen inszenieren. Auch da sind sie häufig kontrollsüchtig, respektlos, grausam, unbarmherzig und auf vielerlei Weise gewalttätig, sowohl ihren Partner:innen gegenüber als auch ihren Kindern. Doch sie erwarten selbstverständlich immer von ihren Opfern, trotzdem herausragend behandelt, bewundert und hofiert zu werden.
Was macht dieses Verhalten mit den Opfern kommunaler Narzisst:innen?
Selbst wenn die Opfer das ganze Schauspiel noch nicht zur Gänze durchschaut haben, leiden sie immer unter den Manipulationen und der Gewalt. Allerdings bringen sie dies nicht mit diesen Menschen in Verbindung und haben oft noch keine Worte dafür. Sie sind aufgrund des so gegensätzlichen Verhaltens dieses toxischen Menschen total verwirrt und befinden sich in einem anhaltenden Zustand der kognitiven Dissonanz
. Denn das Engagement/die Wohltätigkeit, der Charme und die vermeintliche Großzügigkeit dieses Menschen sind für sie mit seiner negativen, manipulativen, gewalttätigen Seite einfach nicht übereinzubringen. Deshalb versuchen sich viele mit Platitüden wie „Wo Licht ist, ist selbstverständlich immer auch Schatten“ über Wasser zu halten. Doch es erzeugt ein ständiges Unbehagen und anhaltende innere Unruhe in ihnen.Viele hegen auch permanent Selbstzweifel, ob sie das, was sie da sehen, nicht vielleicht doch falsch interpretieren. Ob sie diesem Menschen nicht womöglich unrecht tun. Und sie haben Sorge, aus dem vermeintlich erlauchten Kreis der Anhänger:innen ausgeschlossen zu werden und dadurch ihren Freundeskreis unwiderruflich zu verlieren. Denn, wer geht, muss immer ganz gehen und alle und alles zurücklassen. Diese Zweifel und Sorgen halten viele davon ab, dem toxischen Menschen ausreichend Grenzen zu setzen und seine Verlogenheit öffentlich zu machen, um ihm Einhalt zu gebieten. Sie können sich also aus der Gewaltspirale nicht befreien, auch weil der dazu nötige radikale Schnitt sie alles kosten kann, was ihnen lieb und teuer ist.
Was Verratsblindheit (Betrayal Blindness) damit zu tun hat
Viele der Opfer, aber auch andere Menschen versuchen in der Folge, lieber der positiven Seite dieses Menschen Glauben zu schenken und sein negatives Verhalten herunterzuspielen. Das heißt, sie sehen zwar das Negative, doch sie bewerten es als nachrangig. Für sie überwiegt das Positive genug, um diesen Menschen trotz allem zu unterstützen. Oder sie sind so abhängig von ihm, dass sie keinen anderen Weg als diesen sehen, um durch den Tag zu kommen.
Die Psychologin Dr. Jennifer Freyd nannte das „Verratsblindheit“ (auf Englisch: Betrayal Blindness), d. h. die Unkenntnis, falsche Einordnung oder das Vergessen der Tatsache, dass dieser Mensch ihr Vertrauen (ggf. wieder und wieder) missbraucht und sie verraten hat.
Mit Sätzen wie „Ja, er kann ein Arschloch sein, aber er tut doch so viel für die Gemeinschaft!“ wird seine Gewalt dann – meist auch öffentlich – verharmlost. Wir kennen diese Verharmlosung bereits von toxischen Künstler:innen (unter denen nicht wenige kommunale Narzisst:innen sind): „Ja, er:sie hat jemandem Gewalt angetan, aber die Songs/Gemälde/Filme sind einfach großartig!“ Oder von Politiker:innen: „Klar, er ist vorbestraft und ein elender Lügner und Agitator. Aber er hat das Land doch wieder groß gemacht“ – ob Letzteres nun stimmt oder nicht. Kann und sollte man diese Dinge wirklich voneinander trennen? Das ist bis heute Gegenstand von Debatten.
Warum die Opfer inmitten vieler Menschen völlig alleine sind
Opfer kommunaler Narzisst:innen fühlen sich noch dazu ständig schuldig. Denn dieser Mensch und seine Flying Monkeys haben ihnen dieses Gefühl immer wieder eingeflüstert. Und so glauben sie wirklich, sich nicht genug anzustrengen, nicht genug Gutes (für diesen Menschen) zu tun oder auch schlicht nicht gut genug zu sein, um diesem Menschen auch nur die Schuhsohlen zu küssen. Oft glauben sie auch (mit tatkräftiger Hilfe dieses Menschen und seines Fanclubs), sie stünden tief in seiner Schuld. Deshalb schuften sie häufig bis zur körperlichen und seelischen Erschöpfung. Nur um dann dabei zusehen zu müssen, wie die Lorbeeren für ihre harte Arbeit immer wieder der toxische Mensch oder einer seiner Lieblings-Minions einheimst.
Nicht zuletzt ist es ungemein schwer für die Opfer, sich irgendjemandem anzuvertrauen und Unterstützung zu finden. Denn kommunale Narzisst:innen haben enorm viele Menschen davon überzeugt, dass sie wahre „Engel“ seien. Meist auch gerade das private Umfeld ihrer Opfer. Wer sich nicht überzeugen lässt, wird eingeschüchtert, erpresst oder rausgeworfen. Auch deshalb kann es sehr, sehr schwer sein, sich aus den Fängen solcher Menschen zu befreien. Das gilt für Sektenmitglieder genauso wie für Parteisoldat:innen, Kolleg:innen, Vereinsmitglieder, Angestellte oder Familienmitglieder. Das Schweigen, Nicht-Mitteilen-Können und die Tatsache, nirgendwo auf Verständnis zu treffen, isoliert die Opfer. Sie fühlen sich nicht nur einsam und alleine auf verlorenem Posten – sie sind es auch.
Hast du also vor, einem scheinbar sehr engagierten, vermeintlich wirklich guten Menschen zu folgen, etwas für ihn aufzugeben, ihm dein Geld zu überlassen oder dich für ihn zu engagieren, dann schau und hör dir immer erst einmal sehr genau an, was seine Kritiker:innen über diesen Menschen sagen. Lautet die Kritik nicht pauschal „dieser Mensch ist total gestört“ (wie toxische Menschen es sehr gerne über ehemalige Opfer sagen), sondern erkennst du in dieser Kritik Anzeichen dessen, was du hier gelesen hast, dann überlege gut, ob du dich diesem Menschen anschließen möchtest. Denn die Chancen, dass du sein nächstes Opfer wirst, stehen bei kommunalen Narzisst:innen äußerst gut. Und die Chancen, dass sie dein hart verdientes Geld verplempern oder veruntreuen und immer mehr von dir wollen, ebenso.
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