Woran erkennst du, ob deine Eltern toxisch sind?

Toxische Eltern erscheinen den meisten Leuten weitgehend normal. Sie finden sie allenfalls streng und dogmatisch, oberflächlich und unzuverlässig oder nachlässig und verantwortungslos. Dabei sehen sie eigentlich sehr genau, was in einer toxischen Familie vor sich geht. Doch sie mischen sich nicht ein. Sie glauben fälschlicherweise, das sei deren Privatsache. Oder sie befürchten, dadurch Nachteile zu erleben oder womöglich selbst zur Zielscheibe des toxischen Elternteils (oder beider) zu werden.

Deshalb sind Kinder der Gewalt ihrer toxischen Eltern meist völlig schutzlos ausgeliefert. Auch, weil viele Institutionen wie Jugendämter, Gerichte, Verfahrensbeistände und Gutachter:innen dazu neigen, die Rechte der gewalttätigen Elternteile deutlich stärker zu gewichten als die im Grundgesetz verbrieften Rechte der Kinder auf Unversehrtheit und Menschenwürde. Und andere wie KiTa oder Schule greifen – wenn überhaupt – oft erst dann ein, wenn die körperliche Gewalt des Elternteils nicht mehr zu übersehen ist.

Eins solltest du vorab wissen: Es ist nicht deine Schuld, dass sich dein Elternteil immer wieder manipulativ, lieblos und gewalttätig dir gegenüber verhält, oft bis an sein Lebensende. Nichts davon ist deine Schuld! Diese Schuld trägt einzig und allein dein Elternteil.

Doch woran erkennst du ein toxisches Elternteil? Woran erkennst du, ob du selbst ein toxisches Elternteil hast? Wie verteilen sich die Rollen innerhalb einer toxischen Familie? Und welche Folgen kann dies für Kinder solcher Eltern haben? Fangen wir mit einigen der typischen Kennzeichen für ein toxisches Elternteil an.

Alles dreht sich nur um dieses Elternteil

Bei einer toxischen Mutter oder einem toxischen Vater dreht sich alles in der Familie nur um diesen Menschen und seine Forderungen, Wünsche und Bedürfnisse. Doch selbst dann, wenn die ganze Familie sich schier zerreißt, um alles zu bewerkstelligen, was das toxische Elternteil will, ist es ihm nie genug oder gut genug.

Vielleicht ist es für ein paar Stunden oder Tage besänftigt und halbwegs guter Laune. Doch dann kommt immer wieder der Punkt, an dem seine Stimmung kippt. Dann wird das Elternteil wütend, schreit herum, wirft Gegenstände oder schlägt oder prügelt drauflos. Oder es bestraft Kind(er) und Partner:in, z. B. durch Schweigen. Dieses Schweigen kann tagelang andauern und ist insbesondere für Kinder äußerst destabilisierend.

(Un-) Berechenbare Launenhaftigkeit

Bei einem solchen Elternteil weißt du nie, was dich erwartet, wenn du nach Hause kommst. Wirst du freundlich begrüßt oder wenigstens nur ignoriert? Oder wirst du angemault, kaum dass du die Tür geöffnet hast? Du musst jederzeit damit rechnen, herabgewürdigt und gedemütigt zu werden, auch vor anderen Leuten. Möchte dieses Elternteil dann wieder etwas von dir, umgarnt es dich und schenkt dir vorübergehend Aufmerksamkeit. Springst du nicht gleich darauf an, versucht es, dich emotional, sozial oder finanziell zu erpressen.

Besondere Tage wie dein Geburtstag oder Feiertage wie Weihnachten sind mit diesem Menschen oft eine Qual. Er drängt sich immer wieder auf und verlangt, in den Mittelpunkt gestellt zu werden. Steht er dort nicht, macht er allen Vorwürfe, wird maulig, trotzig oder wütend und versaut schließlich allen Anwesenden den Tag. Während diesem Elternteil die Geburtstage anderer meist eine Last sind (denn da steht es ja nicht im Mittelpunkt), hat die Familie an seinem eigenen Geburtstag perfekt zu funktionieren – nicht nur in Anwesenheit weiterer Gäste.

Alles, was an dir gut ist, habest du von diesem Elternteil, behauptet es, und alles, was an dir schlecht sei, von dem anderen Elternteil oder von verhasster Verwandtschaft. Oder du habest es dir bei wertlosen Menschen abgeschaut. Jede gute Leistung, jede Errungenschaft, jedes Zeugnis und jeder Titel, den du dir hart erarbeitest, ist nach Ansicht eines toxischen Elternteils allein sein Verdienst – du habest nur das Glück der guten Gene (die du selbstverständlich von ihm habest).

„Liebe“ gibt es nur unter bestimmten Bedingungen

Bei einem toxischen Elternteil ist alles Transaktion, d. h. es tut nichts, ohne eine Gegenleistung dafür zu erwarten oder zu verlangen. Auch ein Baby bekommt nichts von Mutter oder Vater, wenn es nicht etwas zurückgibt. Diese Transaktion ist aber immer eine Einbahnstraße, d. h. du kannst keine Gegenleistung erwarten, wenn du etwas für dein Elternteil tust. Dein toxisches Elternteil empfindet auch kaum oder gar keine elterliche Liebe für dich. Es liebt nur das, was du ihm ermöglichst (z. B. mit deinen guten Schulnoten vor anderen glänzen oder seine schlechten Launen an dir abarbeiten zu können Fragezeichen © Toxiversum).

Seine Aufmerksamkeit, Zugewandtheit und Anerkennung erhältst du nur, wenn du eine passende Gegenleistung erbringst. Es nimmt dich meist nur dann wahr, wenn du etwas leistest, das in seinem Sinne ist. Häufig ist diese Leistung etwas, was du auf gar keinen Fall tun möchtest. Tust du es deshalb nicht, versucht das Elternteil, dich mit Geschenken, Geld oder Versprechen zu erpressen, es doch zu tun. Diese Versprechen hält es jedoch nicht immer ein – wenn doch, schämst du dich dafür, das Versprochene wirklich anzunehmen. Oder das Elternteil lässt seine Wut über deinen „Ungehorsam“ durch Anschreien und Demütigen, durch Schweigen oder andere, u. a. körperliche, Strafen an dir aus. Bringst du keine Gegenleistung, wendet sich das Elternteil ab.

Häufige Abwertung, Manipulation und Häme

In deiner Kindheit lernst du schon sehr früh, dass deine Familie angeblich etwas Besseres sei als alle anderen. Doch dass du ihr nur Schande machst, weil du zu faul, zu unfähig, zu dumm o. Ä. seist. Deshalb seist du auch eine ständige Enttäuschung für das Elternteil.

Deine toxische Mutter oder dein toxischer Vater kritisiert dich immer wieder, auch vor anderen Leuten. Häufig ist nichts, was du tust, auch nur im Ansatz richtig in ihren oder seinen Augen. Vieles machst du falsch, selbst wenn du dich exakt an die Vorgaben des Elternteils hältst. Die Regeln aber können sich stündlich ändern. Übst du jedoch im Gegenzug Kritik an deinem Elternteil, lässt es die nicht gelten. Es lacht dich aus, zieht über dich her oder wird wütend und bestraft dich. Kritik, die du einmal geäußert hast, selbst wenn sie völlig berechtigt war, trägt es dir jahre- oder sogar jahrzehntelang nach.

Das Elternteil macht dir ein X für ein U vor, lügt und manipuliert dich, macht sich aber über deine reale Wahrnehmung, deine Gefühle und deine Wünsche und Träume lustig. Du musst seine Weltsicht übernehmen, da du angeblich viel zu dumm und unerfahren seist, eine eigene Weltsicht zu entwickeln. Du lernst außerdem von ihm, dass es viel wichtiger sei, was Außenstehende denken, als was du denkst. Doch was Außenstehende denken, ist nur so lange von Belang, als es den Vorstellungen des Elternteils entspricht. Denn die sollen der alleinige Maßstab sein für alles, was du bist, denkst und tust.

Kein Interesse an dir, sondern nur an dem, was du ihm geben kannst

Du selbst zählst nicht, nicht als Kind, nicht als Erwachsene:r. Es werden oft nur deine grundlegendsten Bedürfnisse erfüllt wie z. B. Kleidung oder Essen. Häufig geschieht dies entweder im Übermaß, damit Außenstehende dein Elternteil dafür loben können, oder du erhältst viel zu wenig. Es hält dir dennoch immer vor, sich für dich krumm zu machen, damit du alles habest, was du bräuchtest (um dir dann vorzuwerfen, undankbar zu sein).

Du zählst nicht nur nicht, auch hat dein Elternteil kein ehrliches Interesse an dir. Meistens übersieht es dich oder übergeht dich. Es behauptet, gerecht zu sein, behandelt dich aber meistens sehr ungerecht. Es wendet sich dir nur dann gerne zu, wenn du ihm nützlich sein kannst. Z. B. wenn du es bedienen oder pflegen sollst; wenn du ihm Aufgaben abnehmen sollst; wenn es vor anderen mit dir prahlen kann; wenn du ihm Aufmerksamkeit schenken sollst; wenn es Informationen von dir haben will, die es dann bei nächster Gelegenheit gegen dich verwenden kann Fragezeichen © Toxiversum; oder wenn es etwas von dir schnorren will (z. B. wenn du etwas geerbt hast, das es dir nicht gönnt; wenn du mehr Geld hast als es; wenn es bei dir einziehen will o. Ä.). Hat es bekommen, was es von dir wollte, lässt es dich wieder links liegen, und beschimpft und demütigt dich. Dinge, die du ihm geliehen hast, bekommst du entweder nie wieder, weil du sie ihm nie gegeben oder ihm angeblich geschenkt hättest. Oder du bekommst sie mit negativen Kommentaren (sie seien eh nie schön/brauchbar gewesen) oder verdreckt oder kaputt (so seien sie vorher schon gewesen) wieder zurück.

Isolation, Kontrolle und Übergriffigkeit

Ein toxisches Elternteil lässt kein gutes Haar an deinen Interessen und Hobbys, wenn diese nicht mit seinen Interessen und Hobbys übereinstimmen. Es stichelt auch immer gegen Menschen, die du am meisten liebst, z. B. deine Freund:innen und Partner:innen. Über manche zieht es erbarmungslos her und will sie (z. B. während deiner Schulzeit) nicht im Haus haben. Oder es hat deine Verabredungen mit ihnen verboten oder torpediert (z. B. immer wieder gestört). Anderen hat es sich so sehr angebiedert oder sogar sexuell genähert, dass du sie aus Scham nicht mehr nach Hause eingeladen hast. Das Elternteil lässt aber oft auch kein gutes Haar an anderen Familienmitgliedern. Es spielt euch gekonnt gegeneinander aus, untergräbt euer Vertrauen ineinander und versucht (trotz gegenteiliger Beteuerungen), Keile zwischen euch zu treiben.

Toxische Eltern geben die Kontrolle nie ab. Sie schreiben dir vor, was du wann und wie zu tun hast oder mindestens tun solltest, auch bis weit in dein Erwachsenenleben hinein. Sie sind enorm übergriffig, sind über Gebühr neugierig, schnüffeln in deinen Schubladen und Schränken herum und lassen Dinge verschwinden. Und manche vertrauen ihren Kindern völlig unangemessene Dinge an (z. B. welche sexuellen Probleme oder Vorzüge das andere Elternteil angeblich habe).

Opferhaltung, Täter-Opfer-Umkehr ohne Reue

Du musst dich um ein toxisches Elternteil sehr viel mehr kümmern als es bei normalen Eltern der Fall ist. Du musst es bedienen, es pflegen, wenn es (angeblich oder tatsächlich) krank ist. Und es trägt dir sehr früh Aufgaben auf, für die du noch viel zu jung bist. Egal, wie viel Mühe du dir gibst, alles richtig zu machen: Du bekommst immer wieder das Gefühl oder musst dir sagen lassen, dass du eine Last seist.

Eine toxische Mutter oder ein toxischer Vater stellt sich immer wieder als das eigentliche Opfer dar. Schlägt dieses Elternteil dich, behauptet es, ihm täten die Schläge viel mehr weh als dir. Oder es wirft dir vor, es habe sich sein Leben lang für dich abgeschuftet, aber du seist absolut undankbar (auch wenn beides nicht wahr ist). Es zeigt so gut wie nie Einsicht in sein Fehlverhalten. Im Gegenteil, dieses Fehlverhalten legt es dir zur Last: Du würdest es durch dein Verhalten überhaupt erst dazu nötigen, sich so zu verhalten. Entschuldigungen von der Sorte, die man wirklich ernst meint, und nach denen man das eigene Verhalten ändert, erwartet es ausschließlich von dir. Selbst ist das Elternteil nicht bereit, dir mehr als hohle Pseudo- bzw. Nicht-Entschuldigungen (engl. „nonpologies“) zu geben – und das auch nur, wenn es mal wieder etwas von dir will.

Demontieren deiner Persönlichkeit und Leugnen der Gewalt

Toxische Eltern setzen alles daran, die Persönlichkeit, die Intuition, die Wahrnehmungsfähigkeit, den Mut, die Tatkraft, die Kreativität und Liebesfähigkeit ihrer Kinder zu demontieren, auszuradieren und nach Gutdünken neu zu gestalten. Anschließend werfen sie den Kindern deren vermeintliche Schwächen auf diesen Gebieten vor.

Trotz alledem behaupten toxische Eltern, sie seien die besten Eltern, die du dir nur wünschen könntest. Gewalt habe es nie gegeben, die hättest du dir bloß eingebildet. Oder „das Bisschen“ hättest du mit deinen Frechheiten und deinem Ungehorsam mehr als verdient. Sie hätten sich sehr für dich interessiert, doch du seist schon immer verschlossen und undankbar gewesen. Im Zweifel projizieren sie ihre eigenen Unzulänglichkeiten und ihre Gewalt auf dich Fragezeichen © Toxiversum.

>> weiter zu: Typische Rollenverteilung in einer toxischen Familie

Mehr über die Red Flags und Methoden toxischer Menschen findest du hier.

Und mehr dazu, wie du dich vor diesen Methoden schützen kannst, findest du hier.