Bringt es etwas, an die Menschlichkeit toxischer Menschen an der Macht zu appellieren?

Wir leben in einer Zeit, in der toxische Großmäuler immer mächtiger werden. Sie krakeelen ihre widerwärtigen politischen Vorhaben in die ganze Welt. Und sind sie erst an der Macht, werden sie sie auch umsetzen. Bringt es da etwas, an die Menschlichkeit toxischer Menschen an der Macht zu appellieren?

Viele beobachten mit zunehmendem Schrecken, was in anderen Ländern, aber auch hier in Deutschland passiert: Immer mehr extrem toxische und für diese Jobs gänzlich inkompetente Menschen drängen überall an die Macht. Sind sie dort erst angelangt, machen sie viele soziale, technische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Fortschritte rückgängig. Sie grenzen kategorisch aus, normalisieren jede Form der Gewalt und bedienen sich der Angst als vermeintlich probates Mittel, um die Massen in Schach zu halten.

Warum tun toxische Menschen an der Macht so etwas?

Fassungslos fragen sich dann viele: Warum tun die das? Merken die nicht, wie schädlich das ist? Sehen die nicht, dass sie alles zerstören, was endlich (halbwegs) gut war?

Die Antwort ist: Die merken das. Und sie wissen haargenau, was sie da tun. Es ist ihnen absolut bewusst, dass sie alles mühsam Erkämpfte, alle positiven, sozialen, juristischen, natur- und klimaschützenden und friedensfördernden Errungenschaften wieder zerstören. Doch die Auswirkungen ihrer Zerstörungswut sind ihnen egal. Es ist ihnen gleichgültig, was sie damit bei den direkt Betroffenen anrichten. Es kümmert sie nicht, was das für unsere Gesellschaft und Wirtschaft bedeutet. Es kratzt sie kein bisschen, wenn sie Menschen, Gruppen und Länder gegeneinander aufhetzen. Im Gegenteil: All das ist genau ihr Ziel. Nach mir die Sintflut!

Toxische Menschen wollen autoritär herrschen, sowohl im Großen als auch im Kleinen. Sie sind deshalb in erster Linie an drei Dingen interessiert: Macht, Kontrolle und Dominanz. Und die holen sie sich auf jede nur mögliche Weise und unter dem Einsatz sämtlicher toxischer Methoden. Sie kreieren ganz bewusst Verwirrung, Unsicherheit, Angst und Chaos. Denn wer verwirrt, verunsichert, verängstigt und im undurchsichtigen Chaos hilflos ist, ist nur allzu bereit, die eigene Macht und Kontrolle der Person zu überlassen, die die einfachsten Lösungen verspricht. Lösungen für das, was diese Person selbst heraufbeschworen hat und natürlich keinesfalls ernsthaft wieder verbessern will. Denn das hieße ja, dass sie wieder an Macht, Kontrolle und Dominanz verlöre.

Normalerweise können Appelle etwas bewirken – aber auch bei toxischen Menschen?

Im Normalfall würden wir dann mit so einem Menschen sprechen. Wir würden ihm erklären, was sein Verhalten anrichtet. Wie viel er damit zerstört. Wie sehr er uns und andere damit verletzt und schadet. Würde er uns nicht glauben oder widersprechen, würden wir ihm Fakten vorlegen, Berichte und Zahlen von Fachleuten, die unsere Aussagen belegen. Und wir würden erwarten, dass er angesichts all der Beweise Einsicht zeigt. Dass er sein Verhalten revidiert und dafür sorgt, dass all seine schädlichen und zerstörerischen Änderungen wieder rückgängig gemacht und mindestens ausgeglichen werden.

Ungefähr so könnte es bei normalen Menschen laufen. Doch toxische Menschen sind, denken und handeln nicht normal.

Der Unterschied zwischen normalen und toxischen Menschen ist teilweise wie der Unterschied zwischen einer Telefon-App und einer Diktier-App. Beide sind Apps. Doch die eine ist darauf ausgelegt, dass man nicht nur selbst reden, sondern auch zuhören kann. Dass man Kontakt halten und im Dialog bleiben, Informationen und Gefühle austauschen, Interesse zeigen und unterstützen kann. Die andere App ist dazu da, zu reden und Ansagen zu machen, die man anschließend zur Umsetzung verschicken, aber selbst auch immer wieder anhören kann. Erstere kann ein empathisches Miteinander und Dialog fördern. Letztere schafft stattdessen eine Hierarchie und einen Echoraum für das übersteigerte, monologisierende Ich. In diesem Raum hört man sich großartig an, aber andere Stimmen kommen schlicht nicht vor. Und das soll auch genau so sein.

Hinzu kommt, dass toxische Menschen wenig bis gar keine emotionale Empathie haben. Das bisschen, das manche haben, setzen sie sehr selektiv ein. Und zwar ausschließlich dann, wenn es ihnen irgendwie nützt. Nicht zuletzt sind sie in aller Regel völlig untauglich für politische Führungsaufgaben, da sie so gut wie nichts von dem mitbringen, was es für eine erfolgreiche Führung braucht. Die eigentliche Arbeit, für die sie sich gerne feiern (und befördern) lassen, machen ohnehin meist andere.

Bringt es also etwas, an die Menschlichkeit toxischer Menschen an der Macht zu appellieren??

Was nützt es also, toxische Menschen zu bitten, ihr Denken und Handeln zu ändern? Bringt es etwas, an ihre (Mit-) Menschlichkeit, ihr Ethos zu appelieren? Oder ihnen Geschichtsbücher vorzulegen, in denen ganz klar nachgewiesen wird, dass toxische Machtausübung und Inkompetenz immer in die Katastrophe führt? Oder aktuelle wissenschaftliche Forschungsergebnisse, die klarstellen, dass ihre desaströsen Vorhaben das Ende der Welt, wie wir sie kennen, bedeuten können?

Nein. Es bringt gar nichts. Solche Bitten gehen bei toxischen Menschen links rein und rechts wieder raus, ohne auch nur die Wände zu berühren. Denn sie wissen sehr genau, dass sie für den nötigen klugen, empathischen und ethischen Umgang mit der Macht über keinerlei Fähigkeiten verfügen. Sie verstehen das oft nervenaufreibend komplizierte, soziale und biologische Gefüge dieses Erdballs nicht einmal im Ansatz, denn sie verstehen nur Manipulation. Dementsprechend haben sie keine Geduld dafür, diese höchst komplexen Vorgänge zu durchlaufen und dabei immer neue ethische Wege zu finden, ganz normale Probleme respektvoll und gemeinsam zu lösen. Denn all das würde bedeuten, dass ihre ersehnte ultimative Macht und Kontrolle von zu vielen Faktoren abhängig wären und zu viel Zeit benötigen würden. Es könnte auch zahllose Rückschläge geben, die ihre Macht unterhöhlen könnten. Und nicht zuletzt könnte ein anderer toxischer Mensch sie beiseite schieben und selbst Macht und Kontrolle übernehmen. Oder – Himmel bewahre! – ein tatsächlich kompetenter nicht-toxischer Mensch.

Toxische Menschen wollen Macht, Kontrolle und Dominanz sofort. Und sie sind nicht willens, dafür mehr Arbeit als unbedingt nötig zu investieren. Sie wissen sehr genau: Wenn sie nur genug Verwirrung, Chaos, Unsicherheit und Angst verbreiten, dann werden sich die Leute untereinander schon von selbst genug entzweien. Und dadurch geben die dem toxischen Menschen immer mehr Macht und Kontrolle über sich ab.

Das heißt, eine Änderung ihrer toxischen Strategie würde automatisch zu Machtverlust führen. Und den werden sie nie akzeptieren. Emotionale Empathie, Menschlichkeit, Verständnis, solidarisches Miteinander, Anstand – all das Gute, das Menschen vereint, zusammenhält und inneren wie äußeren Frieden garantieren kann, der die Basis jeder florierenden Gesellschaft ist – all das steht toxischen Menschen nur im Weg. Da würden ja viel zu viele Menschen mitreden wollen. Das nützt ihnen nichts. Es führt ja nicht dazu, dass sie selbst schnellstmöglich noch mehr Macht, Kontrolle und Dominanz erlangen können.

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Was wäre dann die Lösung?

Die offensichtlichste und beste Lösung wäre, toxische Menschen gar nicht erst in die Reichweite von Macht, Kontrolle und Dominanz zu lassen. Ihnen so viele Grenzen zu setzen, dass ihnen die Lust vergeht und sie gar keine Möglichkeit mehr haben, ihre Machtgier an dieser Stelle auszuleben. Doch was, wenn es dafür schon viel zu spät ist? Was, wenn toxische Menschen bereits die höchsten politischen Ämter bekleiden?

Dann sollten wir zunächst einmal genau nachvollziehen, wie es dazu kommen konnte, dass sie die Macht übernommen haben. Wir sollten all die Methoden toxischer Menschen erkennen lernen, um nicht länger auf ihre Maschen hereinzufallen. Das gilt für uns Wähler:innen genauso wie für sämtliche seriösen Medien, Parteien und Unternehmen. Und wir sollten toxisches Verhalten und seine Auswirkungen auf breiter Ebene absolut nicht mehr akzeptieren.

Die Historikerin Ruth Ben-Ghiat rät in ihrem Buch „Strongmen. How they rise, why they succeed, how they fall“ (2021) außerdem dazu, sowohl Rechenschaftspflicht als auch Transparenz an die erste Stelle zu stellen. Denn nur so lassen sich Lügen und Korruption frühzeitig erkennen und bekämpfen. Das heißt für uns alle, jene Institutionen nach Kräften zu unterstützen und zu stärken, die sich diesen Themen widmen, z. B. Organisationen wie LobbyControl, Transparency International oder das Medienhaus Correctiv. Und öffentlich zu fordern, dass nicht nur während Wahlkämpfen die gezielten Einflussnahmen und Falschnachrichten durch toxische Menschen und Gruppen sowohl in Medien als auch auf den zahlreichen Social-Media-Plattformen umgehend untersucht, veröffentlicht und geahndet werden.

Ben-Ghiat rät außerdem, sich ausführlich mit der Geschichte des Widerstands gegen autoritäre Regierungen zu befassen. Zu lernen, wie sie gestürzt werden konnten. Und den Mut zu fassen, widerständig zu werden. Denn von selbst treten toxische Menschen nicht einfach beiseite, weder im Privaten (s. z. B. „Was ist Nachtrennungsgewalt“) noch im öffentlichen, politischen Raum.

Die Historikern zieht das Fazit, dass autoritäre Führungspersonen drei Dinge besonders fürchten: Solidarität, Liebe und Dialog unter den Menschen. Denn die führen zu einem automatischen Macht- und Kontrollverlust toxischer Menschen und damit zu einem Verlust ihrer Dominanz.

Für jede:n Einzelne:n von uns rät Ben-Ghiat, bei aller Verzweiflung, Hilflosigkeit und Resignation, unser Herz und das anderer für unsere Mitmenschen zu öffnen, sie mit viel Mitgefühl zu behandeln. Wir sollten die Hoffnung nicht verlieren, besonders dann, wenn alles aussichtslos erscheint. Und wir sollten das Vertrauen in die Menschheit allgemein nicht verlieren. Schließlich ist die Mehrheit der Menschen immer noch nicht-toxisch. Appelle an ihre Menschlichkeit sind nicht verloren.

Darüber hinaus ist es gerade in diesen Zeiten enorm wichtig, ein klares Verständnis für die Zusammenhänge unserer einzigartigen Lebensgrundlage, die Natur und das Klima, zu entwickeln und dementsprechend zu handeln. Denn toxische Menschen sind nicht nur in dieser Hinsicht meist völlig inkompetent. Es ist ihnen auch egal, wie die Zukunft aussehen wird, da ihnen alles egal ist, außer der Macht, Kontrolle und Dominanz, die sie möglichst zügig und möglichst umfassend erlangen können. Um jeden Preis.


Zum nachlesen: Ruth Ben-Ghiat, „Strongmen. How they rise, why they succeed, how they fall“. Profile Books 2021 (bislang nur auf Englisch erschienen)

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