Die Folgen toxischer Eltern für die Kinder.

Die Folgen toxischer Eltern für die KinderHast du die ersten beiden Teile über toxische Eltern bereits gelesen? Falls nicht, kannst du das hier tun: „Woran erkennst du, ob deine Eltern toxisch sind?“ und „Typische Rollenverteilung in einer toxischen Familie“ Hier geht es jetzt weiter mit den Folgen toxischer Eltern für die Kinder.

Das Leid der Kinder toxischer Eltern

Mit einem toxischen Elternteil aufzuwachsen, ist für viele Kinder die Hölle, insbesondere für die Sündenbock-Kinder. Doch auch die anderen Kinder können sehr unter dem lieblosen, manipulativen und gewalttätigen Verhalten des toxischen Elternteils und der Untätigkeit des enabelnden Elternteils leiden.

Die zahlreichen, vielseitigen und teils gravierenden negativen Auswirkungen spüren manche von ihnen bis an ihr Lebensende. Dennoch ist die Studienlage in Deutschland zu den Auswirkungen des komplexen und umfassenden Missbrauchs der Kinder toxischer Eltern bislang erschreckend mager. Expert:innen beziehen sich deshalb häufig auf die ACE-Studien (ACE = Adverse Childhood Experiences), d. h. Studien zu schädlichen Kindheitserlebnissen in den USA. Oder sie beziehen sich auf andere internationale Expert:innen wie Traumatolog:innen (z. B. Dr. Peter Levine), Psychiater:innen (wie Dr. Bessel van der Kolk), Therapeut:innen und Kinder, die als Erwachsene endlich Worte haben finden können für das, was ihnen geschehen ist.

Hier sind einige der wichtigsten Folgen toxischer Eltern für die Kinder:

Keine eigene Persönlichkeit

Viele Kinder toxischer Eltern wissen nicht, wer sie sind. Zu stark wurden sie indoktriniert, zu sehr zu Dingen gezwungen, die sie nicht wollten oder die ihrer Persönlichkeit nie entsprachen. Und sie hatten nie ausreichend Möglichkeit, ein eigenes Selbst in allen wichtigen Ausprägungen zu entwickeln. Versuchen sie im Erwachsenenalter, dies nachzuholen, sind Indoktrination und Eigenes nur sehr schwer auseinanderzuhalten.

Neben dem Auferzwungenen haben viele aus Rebellion aber auch das genaue Gegenteil dessen getan, was das Elternteil von ihnen wollte. Dabei können viele auch Jahre später nicht differenzieren, ob sie das wirklich selbst wollten oder es lediglich eine Gegenwehr gegen das Elternteil war. Sich selbst zu finden, kann daher eine der schwierigsten, komplexesten und nervenaufreibendsten Aufgaben ihres Lebens sein.

Kein gesundes Selbstbild

Du wirst aufgrund der anhaltenden Kritik und Abwertung durch das toxische Elternteil wahrscheinlich auch ein sehr verzerrtes Selbstbild entwickelt haben. Dies besteht häufig aus einem Übermaß an Scham, Selbsthass und Selbstbezichtigung sowie einem eklatanten Mangel an Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein. Das wiederum kann dazu führen, dass du lebenslang weit unter deinen Möglichkeiten bleiben wirst. Dass du deine Bedürfnisse zugunsten anderer immer zurückstellst. Dass du dich nach Nähe sehnst, sie aber nicht zulassen kannst. Dass du dich der Liebe und Zuneigung anderer nie wert fühlst und dir öffentliche Zurschaustellungen dessen oder Ehrungen zuwider sind.

Es kann ebenso dazu führen, dass du wenige bis gar keine verlässlichen, engen Freund:innen hast, sondern eher von ihnen ausgenommen wirst. Setzt du ihnen jedoch Grenzen und läufst ihnen nicht mehr hinterher, lassen sie dich sehr bald fallen. Vielleicht geht es sogar so weit, dass du sozial sehr isoliert bist und keine verlässliche, langfristige intime Beziehung eingehen kannst. Stattdessen reihen sich jede Menge toxischer Freundschaften, Partnerschaften, Affären und Arbeitsverhältnisse aneinander.

Du wirst womöglich auch leicht übervorteilt, bist zu deinem eigenen Nachteil immer kompromissbereit und hast nie gelernt, für dich einzustehen und gesunde Grenzen zu setzen. Stattdessen fühlst du dich immer für die Launen anderer verantwortlich, bist immer auf der Hut und sorgst für andere, während du für dich selbst nicht oder nur nachrangig (= schlecht[er]) sorgen kannst.

Völlig verdrehtes Weltbild

Kinder toxischer Eltern müssen, um überleben zu können, häufig das völlig verdrehte Weltbild des toxischen Elternteils übernehmen. Dazu gehören oft krude Ansichten z. B. über bestimmte Bevölkerungsgruppen, politische Einstellungen oder andere Geschlechter. Aber auch religiöse oder sonstige Dogmen, die ihnen als grundlegende Regeln verkauft werden, ohne die die Welt angeblich nicht funktioniere. Sie lernen häufig, die Welt in „die Guten“ und „die Bösen“ einzuteilen, wobei das toxische Elternteil sich selbst als eine:r der Guten und auf der vermeintlich „richtigen Seite“ stehend darstellt. Freundschaften oder auch nur ziviler Umgang mit den vermeintlich „Bösen“ sind entweder verboten oder werden verhöhnt oder torpediert und bestraft.

Entwickelt das Kind im Lauf seines Lebens andere Sichtweisen auf die Welt, auf die erlernten Dogmen, Bevölkerungsgruppen, politischen Denkweisen, Religionsvorschriften usw., wird es dafür verhöhnt. Das toxische Elternteil versucht, ihm vor diesen „anderen“ Angst einzujagen oder verbannt das eigene Kind sogar. So lernt das Kind zu glauben, die einzige Sicherheit, die es habe, sei die, die das toxische Elternteil ihm biete. Dass jedoch gerade dieses Elternteil die größte Unsicherheit im Leben des Kindes ist, spürt es zwar instinktiv. Doch es ist aus Gründen des schieren Überlebens und aufgrund einer starken Traumabindung Fragezeichen © Toxiversum wie an das Elternteil gefesselt und muss deshalb von Anfang an dessen Weltbild und Dogmen übernehmen.

Toxische Flöhe

Es kann sein, dass du dich als Kind eines toxischen Elternteils mit „toxischen Flöhen“ angesteckt hast. Dabei handelt es sich um Verhaltensweisen, die das toxische Elternteil dir gegenüber gezeigt hat. Du hast sie übernommen in der Hoffnung, dass sie bei dir auch so funktionieren wie bei dem Elternteil. Manchmal tun sie das, oft aber nicht. Zu diesen Verhaltensweisen gehören z. B. Lügen, Manipulationen, emotionale Erpressung, Schweigen als Strafe, Zwangskontrolle Fragezeichen © Toxiversum, aber auch körperliche Gewalt.

Toxische Flöhe können dir das Leben ziemlich schwer machen. Denn du wirst die Manipulationstechniken und Methoden nie so gut beherrschen wie dein toxisches Elternteil. Deshalb wirst du es womöglich erleben, dass du nicht ansatzweise den Erfolg damit hast wie dein Elternteil. Falls du doch mal damit durchkommst, schmeckt dieser Erfolg im Nachhinein oft sehr schal, und du schämst dich dafür.

Toxische Flöhe machen dich nicht automatisch auch zu einem toxischen Menschen. Einer der Unterschiede liegt in dem Willen, diese Flöhe dauerhaft abzulegen, wenn du bemerkst, dass du anderen damit Schaden zufügst. Ein toxischer Mensch mag unzählige Male eine Besserung seines Verhaltens versprechen, hält sich aber nie dauerhaft daran. Denn es ist ihm in der Regel egal, ob er anderen mit seinem Verhalten schadet oder nicht.

Lebenslanges Leiden unter Triggern

Auch als Erwachsene werden Kinder toxischer Eltern noch häufig getriggert. Oftmals ohne dass sie es bewusst erkennen können. Das Verhalten anderer Menschen kann in unerwarteten Momenten die gleichen Überlebensreaktionen hervorrufen, die sich in ihrer Kindheit entwickelt haben. Diese Reaktionen fallen oft viel extremer aus, als es je nötig wäre. Und sie können das Leben des erwachsenen Kindes sehr stark beeinträchtigen. Zu diesen vier Reaktionen kannst Du im Artikel „Red Flags/Toxische Warnsignale: Die vier Überlebensreaktionen bei Gewalt durch toxische Menschen“ mehr lesen.

Dsyreguliertes Nervensystem

Studien haben gezeigt, dass sich toxische Gewalt auch auf unser Nervensystem auswirkt. Das Nervensystem nimmt Reize von außen und innen auf und löst damit eine Reaktion in dir aus, z. B. Schmerz, Muskelbewegungen oder seelisches und emotionales Erstarren. Bist du schon dein ganzes Leben lang toxischer Gewalt durch ein Elternteil oder beide ausgeliefert, kann das extreme Auswirkungen auf dein Nervensystem haben. Insbesondere dann, wenn du keinen sicheren Halt hast (z. B. ein verlässliches, liebevolles, häufig anwesendes anderes Elternteil). Oder wenn andere Menschen, denen du dich anvertraust, dir nicht glauben.

Womöglich wirst du noch jahre- oder jahrzehntelang in Triggermomenten immer wieder z. B. zittern, erstarren, überreagieren, dissoziieren, hyperventilieren, extrem schwitzen, weglaufen, dich wegducken, anhaltende Unruhe erleben, hyperaktiv werden, wie ein Wasserfall reden, endlos grübeln, ins Schweigen verfallen, zu viel essen oder zu wenig, dich selbst verletzen u. v. m. Und du wirst vielleicht auch in andere alte Muster verfallen, z. B. klein beigeben, deinem Gegenüber zustimmen (selbst wenn es Unsinn redet), die Arbeit eines Faultiers am Ende doch selbst übernehmen, dich promiskutiv verhalten usw.

k-PTBS (komplexe Posttraumatische Belastungsstörung)

Viele Kinder toxischer Eltern erleiden eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (k-PTBS). Du hast wahrscheinlich schon von einer PTBS gehört, die bei Menschen auftreten kann, die ein einzelnes traumatisches Erlebnis hatten (z. B. einen Unfall oder eine Explosion erlebt haben). Sie können sehr lange durch Geräusche und Gerüche getriggert werden und dann für sie völlig fremde Verhaltensweisen zeigen (z. B. wird ein früher sanftmütiger Mensch plötzlich gewalttätig).

Die komplexe PTBS verhält sich ähnlich. Nur basiert sie auf jahrelangem, wiederholtem Erleben traumatischer Dinge. Z. B. solchen, wie man sie während der Kindheit durch fortwährende seelische, emotionale und körperliche Gewalt durch toxische Eltern erlebt.

Bei einer k-PTBS kannst du z. B. durch den Geruch des Parfüms der Mutter, die dich immerzu gedemütigt hat, hilflos erstarren wie damals als Kind, oder du musst dich ohne ersichtlichen Grund übergeben. Oder jemand schreit dich genauso an, wie es dein Vater immerzu getan hat, und du gehst in den Kampfmodus über und wehrst dich – jetzt vielleicht sogar durch körperliche Gewalt. Oder du verfällst in eine endlose Rechtfertigungsspirale, wenn jemand dir nicht glaubt oder dich „kompliziert“ oder „überempfindlich“ oder „zu anspruchsvoll“ nennt – so, wie es dein toxisches Elternteil früher häufig getan hat. Es gibt noch zahlreiche weitere Anzeichen für eine k-PTBS. Sie kann einen Menschen immer wieder in seiner Entwicklung gefühlt auf Null zurückwerfen und ihn in seinem Leben, seinen Beziehungen und seiner Arbeit bis ins hohe Alter stark beeinträchtigen.

Krankheiten ohne offensichtliche Auslöser oder Gründe

Kinder toxischer Eltern werden häufig krank, oft sind die Krankheiten sogar chronisch. Vielfach entwickeln sich diese Krankheiten bereits im Kindesalter, oft aber auch erst nach Jahrzehnten. Es kommt bei ihnen zu Symptomen, die für Außenstehende, leider auch für viele Ärzt:innen, unerklärlich zu sein scheinen.

Zu den körperlichen Symptomen, die du aufgrund toxischer Eltern haben kannst, können z. B. Depressionen gehören, chronische Schmerzen, chronische Atemschwierigkeiten, Verdauungsschwierigkeiten, Schwindel, Autoimmunkrankheiten, Hautreaktionen, Gürtelrose oder übermäßiger Haarausfall. Viele Kinder toxischer Eltern klappern jahrelang eine ärztliche Praxis nach der anderen ab. Sie werden bis obenhin mit Medikamenten vollgestopft. Und sie verplempern massenhaft Geld für vermeintliche Heilmittel und windige Heilsversprechen. Immer auf der verzweifelten Suche nach Linderung und dem Ursprung ihrer Beschwerden. Doch viele erhalten nie eine akkurate Diagnose und erleben deshalb auch keine Besserung. Diese Probleme begleiten viele Kinder ihr Leben lang.

Was kannst du nun tun?

Als Kind eines toxischen Elternteils bist du dessen Manipulation und Gewalt zwar ausgeliefert gewesen. Doch als Erwachsene:r musst du dies nicht mehr sein. Wichtig ist, dass du die Red Flags und die Methoden erkennen lernst, die sie anwenden, um dich dann dagegen schützen zu können.

Denn mit normalen Mitteln der Kommunikation und des Umgangs kommen wir bei toxischen Menschen nicht weiter. Im Gegenteil, wir reiben uns nur unnötig auf, verlieren enorm viel Energie und Nerven, im schlimmsten Fall auch unsere Gesundheit, unser gesundes Umfeld und unser Geld.

Umso wichtiger ist es, neue Verhaltensweisen zu erlernen, die dir dabei helfen, dich vor all der Gewalt toxischer Eltern nachhaltig und langfristig zu schützen.

Mehr über die Red Flags und Methoden toxischer Menschen findest du hier.

Und mehr dazu, wie du dich vor diesen Methoden schützen kannst, findest du hier.

Hier findest du weitere Literatur u. a., die dir zu mehr Verständnis der Situation von Kindern toxischer Eltern verhelfen können.