Toxisches Verhalten geht von einer Person aus. Doch ist der Mensch, der das Ziel des toxischen Verhaltens ist, mitschuld daran? Toxische Menschen und sogar manche Therapeut:innen deuten so etwas an oder behaupten es rundweg. Doch stimmt das?
Bist du in einer Beziehung mit einem toxischen Menschen, dann wirst du wahrscheinlich immer wieder hören, dass du selbst schuld oder mitschuld an seinem Verhalten seist. Dass du dich nur anders verhalten müsstest, damit er sich dir gegenüber besser verhält. Das sagt nicht nur der toxische Mensch, sondern auch sein Fanclub , insbesondere seine Flying Monkeys . Und manchmal sogar Fachleute wie Therapeut:innen.
Ändert sich etwas, wenn du dich anders verhältst?
Du veränderst daraufhin dein eigenes Verhalten, wieder und wieder. Du probierst dies, du versuchst das und passt dich maximal an, selbst wenn es dir nicht gut tut. Du fragst auch den toxischen Menschen, wie du dich verhalten sollst, damit er keinen Anlass für sein toxisches Verhalten hat (das er allerdings nicht als „toxisch“, sondern als „normal“ deklariert). Vielleicht bekommst du als Antwort lauter Wortsalat , der dich nur noch mehr verwirrt. Und egal, wie oft du nachhakst, die Antwort wird nicht verständlicher.
Vielleicht aber sagt dir der toxische Mensch klar, was er von dir erwartet. Dann änderst du dein Verhalten entsprechend und gibst dir wirklich Mühe damit. Du achtest auf alle Anzeichen, wie der toxische Mensch darauf reagiert, ob er wieder genervt ist oder ob dein Verhalten jetzt o. k. ist. Deine Gedanken kreisen ständig darum, und Du gehst immer mehr auf Zehenspitzen, in jedem Moment darauf bedacht, den toxischen Menschen nicht zu verärgern. Ihm keinen Anlass für schlimmes Verhalten zu geben. Doch es scheint nie genug zu sein.
Warum sollte toxisches Verhalten deine Schuld sein?
Das Ganze verwirrt dich nur noch mehr. Du machst genau, was der toxische Mensch sagt, aber es genügt nicht. Nie. Zwischendrin schöpfst du Hoffnung, weil du vielleicht doch mal etwas richtig machst und der toxische Mensch dich lobt oder zumindest nicht zusammenfaltet. Doch dann geht es wie gewohnt weiter, mit Gemoser, Beschimpfungen, Abwertungen, vielleicht auch mit körperlicher Gewalt.
Angesichts all deiner Bemühungen erscheint es dir geradezu absurd, dass du schuld oder wenigstens mitschuld an dem Verhalten des anderen Menschen sein sollst, oder? Da liegst du völlig richtig. Es ist tatsächlich absurd, dem Opfer von seelischer und/oder körperlicher Gewalt eine Mitschuld oder sogar die alleinige Schuld am Verhalten des Täters zu geben. Doch warum tun so viele Menschen es trotzdem?
Warum behaupten einige, toxisches Verhalten sei deine (Mit-) Schuld?
Es gibt drei wesentliche Gründe für diese Behauptung.
1. Täter-Opfer-Umkehr
In unserer Gesellschaft ist es leider gang und gäbe, den Opfern die Schuld oder mindestens eine Teilschuld zu geben. Die Täter:innen dagegen kommen, aus Sicht der Opfer und ihrer Familien, vielfach ungeschoren oder mit einem vergleichsweise milden Klaps auf den Rücken davon.
So kommt es auch, dass Opfern toxischen Missbrauchs oft nicht geglaubt wird, weil die Täter:innen „doch so nett sind“. Die Opfer werden als der familiäre, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Störfaktor angesehen, als diejenigen, die „alles zerstören“, insbesondere (angeblich) den Ruf des toxischen Menschen.
2. Ahnungslose Therapeut:innen
Ausgerechnet die, die professionelle, fachliche Hilfe leisten könnten, sind teilweise leider so ahnungslos, dass sie Opfer noch stärker in die Verzweiflung stürzen, anstatt sie zu stützen und zu stärken. Sogar einige derer, die sich als ausgewiesene Kenner:innen toxischen Missbrauchs bezeichnen (z. B. durch Narzisst:innen oder Psychopath:innen), behaupten, das Opfer trage selbst einen großen Teil zu der Misere bei, in der es sich befindet. Noch schlimmer: Es gibt auch unter Therapeut:innen toxische Menschen, die natürlich (aus ihrer Sicht) alles richtig machen und selbstverständlich (aus ihrer Sicht) dem Opfer die Schuld geben.
(Es gibt aber zum Glück auch ganz hervorragende Therapeut:innen, die Ahnung von diesem speziellen Thema haben, die sich fortbilden und die die Schuld an dem Missbrauch ausschließlich da sehen, wo sie hingehört: bei dem toxischen Menschen.)
3. Toxische Menschen
Nicht zuletzt glauben toxische Menschen von sich, perfekt zu sein, alles richtig zu machen und unantastbar zu sein. Natürlich geben sie an so gut wie all ihren Fehlern anderen Menschen die Schuld. Sie selbst wollen für ihr Verhalten und seine Folgen in aller Regel keinerlei Verantwortung übernehmen. Und weil sie (ihrer Ansicht nach) so perfekt sind, kann ja nur das Opfer und dessen Verhalten schuld daran sein, dass der toxische Mensch sich so verhalten „muss“.
Toxisches Verhalten ist nie die Schuld des Opfers!
Obwohl also ziemlich viele Leute den Opfern weismachen wollen, dass sie selbst schuld oder mitschuld an dem inakzeptablen Verhalten des toxischen Menschen seien, ist genau das Gegenteil der Fall.
Bist du Opfer eines toxischen Menschen geworden, war es nicht deine Schuld. Nie. Ohne Ausnahme!
Vielleicht sagst du jetzt: „Aber ich hätte doch erkennen müssen …“ und „Aber ich habe mich doch auf diesen Menschen, diesen Job, diese Organisation usw. eingelassen …“ oder „Es haben mir alle abgeraten, und ich habe mich trotzdem darauf eingelassen …“. Doch das sind alles keine Gründe für eine Schuld oder Mitschuld an dem, was dir dann geschehen ist. Es sind ganz normale Beweggründe, die jeder Mensch hat. Nur hattest du das Pech, nicht auf einen normalen, anständigen Menschen zu treffen, sondern auf einen, der dich vom ersten Tag an manipulieren, benutzen und ausnutzen wollte.
Und das ist definitiv nicht deine Schuld.