Über Sekten wissen die Wenigsten etwas. Es kursieren zwar zahlreiche Klischees und Vorurteile, insbesondere über die Menschen, die Mitglieder in Sekten sind. Doch es gibt nur sehr wenig Aufklärung darüber, wie toxisch Sekten sind und welche Folgen sie haben können. Hier sind elf Dinge, die du über Sekten wissen solltest.
Eine Sekte ist eine Gruppe oder Organisation, die sich durch bestimmte toxische Strukturen und Methoden auszeichnet und dadurch, dass alle Mitglieder an die Lehre dieser Sekte glauben. Diese Lehre steht oft dem, was die Mehrheit der Gesellschaft glaubt, denkt oder weiß, entgegen oder ist eine angebliche „Weiterentwicklung“ dessen. Sekten können sowohl religiöse, spirituelle oder politische Glaubensgemeinschaften sein als auch Gemeinschaften, Organisationen oder Unternehmen, die sich angeblich v. a. der beruflichen, finanziellen, persönlichen, gesellschaftlichen oder individuellen mentalen, emotionalen, körperlichen oder spirituellen Weiterentwicklung verschrieben haben. Aber was solltest du darüber hinaus mindestens über Sekten wissen?
1. Nicht alles an einer Sekte ist automatisch schlecht. Aber das ist das Gefährliche.
Gleich beim ersten Punkt wird’s schon kompliziert. Denn tatsächlich ist nicht immer alles schlecht, was in Sekten vor sich geht. Sie bestehen nicht ausschließlich aus Absurdem, Abstoßendem und Gewalt. In so gut wie allen Sekten gibt es tatsächlich auch eine Menge Positives. Für viele Mitglieder ist bspw. die Gemeinschaft besonders wichtig. Sie finden in Sekten eine Gruppe von Menschen vor, die scheinbar die gleichen Lebensträume, Fragen, Werte, Ansichten und Ziele haben oder auch der gleichen Religionsauslegung folgen wie sie.
Sekten sind sehr gut darin, Komplexes und Kompliziertes zunächst total vereinfacht darzustellen und ganz simple, scheinbar schnell erreichbare Lösungen anzubieten. Das kann eine enorme Anziehungskraft haben, umso mehr in unserer aktuellen Zeit, in der sich ständig etwas verändert, in der es so viele Unsicherheiten und Unwägbarkeiten gibt und in der die Gesellschaft so weit auseinanderzudriften scheint wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr.
Und so manches an den vermeintlich einfachen Lösungen, die Sekten anbieten, kann für viele Mitglieder auch tatsächlich sehr hilfreich sein. Sie finden dort manche Denkansätze, Leitlinien oder auch Übungs-/Trainingsmöglichkeiten vor, die ihnen beruflich und persönlich wirklich weiterhelfen, mehr Selbstvertrauen geben und ihren Horizont erweitern. Wenn auch leider nur bis zu einem bestimmten Punkt. Alles darüber Hinausgehende führt sie immer tiefer in die Abhängigkeit der Sekte.
Das Positive an einer Sekte ist also gleichzeitig immer auch das Gefährliche, denn es vermittelt nach außen den Eindruck, dass da doch gar nicht alles schlecht ist und dass die Sekte vielleicht einfach nur eine harmlose Truppe von Spinnern ist. Anderen vermittelt es, dass es ungefährlich ist, ihr beizutreten, man kann ja einfach nur das Positive mitnehmen (glauben sie). Doch genau wie die Opfer toxischer Menschen allgemein sind auch Sektenmitglieder keine naiven Deppen, sondern meist kluge, erfolgreiche, starke Menschen (s. dazu auch „Wer wird eigentlich Opfer von toxischen Menschen?“), die in aller Regel absolut nichts dafür können, dass sie in die Sekte hineingesogen werden und dann nicht wieder da herausfinden.
2. Menschen treten nie einer Sekte bei.
Wer Mitglied einer Sekte wird, tritt ihr niemals bei, weil sie eine Sekte ist. Menschen treten einer Sekte bei, weil die sich sehr überzeugend als die einzig wahre Lösung für so gut wie alle ihre Probleme ausgegeben hat. Sie hat sich ihnen als diejenige Organisation dargestellt, die die Welt verbessern will oder die Situation ihrer Mitglieder, ob spirituell, beruflich, emotional, körperlich, mental oder auch finanziell. Und weil sie ebenfalls die Welt verbessern oder sich weiterentwickeln wollen, treten diese Menschen der Gemeinschaft bei. Sie ahnen nicht, dass sie einer toxischen Gruppe beitreten, deren Führung völlig andere Ziele hat als die, die sie vorgibt. Dass das, was sie vorgibt, nur Lockmittel ist.
Sekten haben natürlich nie nur Negatives zu bieten, denn wer würde dann schon freiwillig Mitglied werden?! Wie in Punkt 1. geschrieben, haben sie deshalb immer auch etwas Positives im Programm, das sie für potenzielle Mitglieder so enorm reizvoll macht. Das Negative kommt erst nach und nach zum Vorschein. Doch da haben die Mitglieder schon so viel Positives erfahren und gelernt, und sie sind bereits so sehr indoktriniert worden, dass sie das Negative entweder gar nicht mehr glauben oder es für vernachlässigbar halten. Denn sie sind ja wegen der teils vermeintlich, teils tatsächlich positiven, nützlichen und hilfreichen Dinge Mitglied in der Gruppe. Und wegen der eingeschworenen Gemeinschaft, in der sie sich da befinden.
3. Sekten behaupten immer, keine Sekte zu sein.
Keine Sekte gibt intern oder öffentlich zu, eine Sekte zu sein. Sie protestieren mit aller Vehemenz dagegen und behaupten immer, das genaue Gegenteil zu sein. Handelt es sich um religiöse Sekten, dann behaupten sie teilweise sogar, der Vorwurf, eine Sekte zu sein, und jede andere Kritik sei angeblich „Gotteslästerung“.
Da die meisten Sektenmitglieder auch Kontakt zur Außenwelt haben, werden sie früher oder später wahrscheinlich mit dem Vorwurf, Mitglieder einer Sekte zu sein, konfrontiert werden. Damit ihnen die Mitglieder nicht abtrünnig werden, weisen Sekten jede Kritik stets von sich und legen den Mitgliedern angebliche Beweise dafür vor, dass sie keine Sekten sind. Häufig legen sie ihnen sogar die konkreten Beweise ihrer Kritiker:innen vor. Und obwohl die Kritiken auf den Punkt korrekt sind, wurden die Sektenmitglieder in aller Regel bereits so stark indoktriniert, dass auch sie sogar die offensichtlichsten Beweise meist ablehnen und als vermeintliche „Propaganda“ oder „gezielte Versuche, der Gruppe(nführung) zu schaden“ abstempeln.
Viele Sekten trichtern ihren Mitgliedern auch gezielt ein, was sie auf diese Kritik hin zu äußern haben. So kann es kommen, dass selbst jene Mitglieder, die längst eigene Zweifel an der Doktrin und der Sektenführung haben, sie noch immer eloquent verteidigen. Und nicht zuletzt hetzen die häufig sehr finanzstarken und gut vernetzten Sekten ihren Kritiker:innen Anwält:innen auf den Leib. Denn es genügt ihnen meist nicht, dass ihre Mitglieder so indoktriniert sind, dass sie den Schwindel für Wahrheit halten – die ganze Gesellschaft soll das auch tun. Da müssen solche Kritiker:innen möglichst aus dem Weg geräumt werden.
4. Sekten sind nie (nur) das, was sie zu sein vorgeben.
Der Großteil der Menschen in Sekten ist also Mitglied, weil sie sich Positives davon erhoffen oder versprechen. Und Sekten werden auch immer betonen, dass genau das ihr einziges Ziel ist. Sie tragen das exakt so in die Öffentlichkeit. Doch Sekten sind nie (nur) das, was sie zu sein vorgeben.
Der Führungsriege der Sekten geht es in Wirklichkeit nämlich meist absolut nicht um das, was sie nach außen präsentieren. Ihre Religion(sauslegung), die ganze Selbstoptiminierungs-, religiöse und Weltverbesserungsshow ist immer nur Mittel zum Zweck. Es ist eine Maske und Lockmittel für möglichst viele neue Mitglieder, die dann gratis für die Sekte arbeiten und deren Reichtum mehren sollen. Der Führung(sriege) einer Sekte geht es ausschließlich um Geld, Macht, Kontrolle, Dominanz und Einfluss über möglichst viele Menschen. Diesen Dingen ordnen sie alles und alle unter. Und diesen Dingen haben sich auch alle Mitglieder unterzuordnen, ohne je wirklich etwas Dauerhaftes, Nachhaltiges davon zu haben, außer riesigen persönlichen, finanziellen, sozialen, mentalen und emotionalen Problemen.
5. Kinder in Sekten sind häufig Gewalt ausgesetzt.
Wer als Kind mit den Erziehungsberechtigten zusammen zu einer Sekte stößt oder in einer Sekte aufwächst, ist so gut wie immer Gewalt ausgesetzt. Kinder erleiden in Sekten meistens seelische und emotionale Gewalt, aber auch soziale, körperliche und sexuelle Gewalt. In manchen, besonders vermeintlich religiösen Sekten, werden sie zwangsverheiratet oder Opfer der häufig pädophilen Führung und Mitglieder. In manchen Sekten ist auch Menschenhandel Teil ihrer bitteren Erfahrungen, wenn bspw. die Sektenführung bestimmt, dass die Kinder den älteren Mitgliedern für Sex zur Verfügung zu stehen haben (was mindestens den Strafbestand des Menschenhandels und der Vergewaltigung erfüllt). Und in einigen Sekten werden Kinder bereits als Babys drakonischen körperlichen und seelischen Strafen ausgesetzt, insbesondere dann, wenn sie Dinge tun, die für Babys oder kleine Kinder völlig normal sind (weinen, sich Anweisungen widersetzen, Regeln vergessen, spielen wollen, sich bewegen usw.).
6. Kinder können in Sekten kaum eine eigene Identität entwickeln
Wer als Kind in einer Sekte aufwächst, wird von Geburt an indoktriniert und muss sich zwingend den Regeln der Sekte beugen. Beugt sich ein Kind nicht, wird es bestraft. Es darf keine eigene Identität entwickeln, sondern muss nach Wunsch und Vorstellung der Führung geprägt werden. Es soll so denken und handeln lernen, dass es im Sinne der Sekte funktioniert. Sagt ihm sein Instinkt, dass da irgendetwas nicht stimmt, und weicht es deshalb von den Regeln ab oder rebelliert gegen die Sekte, wird es bestraft und Umerziehungsmaßnahmen unterzogen. All das ist übrigens auch in Familien mit toxischen Elternteilen so, weshalb man diese auch als kleine Sekten bezeichnet.
Wer sich nach einer solchen Kindheit als Erwachsene:r aus einer Sekte befreien kann, hat es meist unglaublich schwer, Boden unter den Füßen zu bekommen. Denn worauf kann dieser Mensch aufbauen? Doch nur auf dem, was er in der Sekte gelernt hat, also der Sektendoktrin. Viele Kinder aus Sekten haben keine Ahnung, wer sie selbst sind, und keine Ahnung von der Welt hier draußen. Denn es gab für sie immer nur ein Gesetz: das der Sekte. Mehr dazu auch in Punkt 11.
7. Erwachsene sind in Sekten ebenfalls Gewalt ausgesetzt.
Auch Erwachsene sind in Sekten häufig Gewalt ausgesetzt. Das fängt mit seelischer und emotionaler Gewalt an (z. B. Indoktrinierung, Nötigung und Zwangskontrolle), geht häufig mit körperlicher und sexueller Gewalt weiter und endet noch lange nicht bei finanzieller, sozialer, reproduktiver und digitaler Gewalt. Sie erfahren also auch in Sekten das, was wir „häusliche Gewalt“ nennen. In manchen Fällen ist die Gewalt für sie tödlich.
Sekten-Mitglieder werden häufig entmenschlicht und allein auf ihre Funktionen innerhalb des Sektenkosmos reduziert. Genauso wie die Kinder sollen sie möglichst kein Individuum sein, sondern sich allein dem Dienst für die Sekte verschreiben. Verlassen sie die Sekte, erfahren viele Nachtrennungsgewalt wie bspw. Stalking, Ausspionieren oder psychische und anwaltliche Gewalt im Namen und Auftrag der Sekte. Siehe auch dazu Punkt 11.
8. Sekten sind häufig extrem sexualisiert.
So gut wie alle Sekten, die sich sehr religiös geben (aber nicht nur diese), sind extrem sexualisiert. Das heißt, dass sie zwar vorgeben, in erster Linie an einer religiösen Lebensweise interessiert zu sein. Doch in Wirklichkeit sind sie von Sexualität besessen. Insbesondere von der Sexualität der Mädchen und Frauen, die sie kontrollieren wollen. Sie haben genaue Vorschriften für Frauen, wie die sich zu verhalten haben, wie sie auszusehen haben, sich zu kleiden und zu frisieren haben. Viele bestimmen sogar, in welchem Alter und wen sie heiraten müssen. Immer wieder liegt dieses Alter unter dem der Ehemündigkeit. Solche Sekten beäugen diese Mädchen ständig, vorgeblich für den Fall, dass die einen Fehler machen könnten und man ihre vermeintliche „Tugend“ retten müsste. Frauen und Mädchen dienen insbesondere religiösen Sekten häufig ausschließlich zu drei Zwecken: Zum Wegschuften der Drecksarbeit, für die die Männer sich zu schade sind, zur jederzeitigen sexuellen Befriedigung der Männer und zum Gebären möglichst vieler Kinder. Über diese extreme Form der Sexualisierung wird kaum gesprochen, obwohl sie der von Boulevardblättern, Pornos und anderen abwertenden Zurschaustellungen von Frauen und Mädchen in keiner Weise nachsteht. Dabei schränken viele Sekten die grundrechtlich garantierten Rechte der Frauen erheblich ein und reduzieren sie vom Menschen und komplexen Individuum auf drei Funktionen. Entsprechend reduzieren sie auch die Jungen und Männer unter ihren Mitgliedern auf wenige Funktionen, wobei die aber in allen Sekten erheblich größere Spielräume haben als Frauen und Mädchen. Und die Sekten kommen damit durch, da sie es nach außen als „freiwillig gewähltes Handeln“ verkaufen und niemand ihnen so recht auf die Finger schaut. Von Freiwilligkeit kann bei Sekten aber so gut wie nie die Rede sein. In der Regel sind immer Nötigung und Zwangskontrolle mit im Spiel.
9. In Sekten herrschen strikte Hierarchien.
Sekten sind immer strikt hierarchisch aufgebaut. Ganz oben steht die Sektenführung: eine Person hat das Sagen, und in größeren Sekten gibt es direkt unter dieser Person ein Leitungsgremium. Die Führung hat immer eine Reihe eigener Minions, also Lakaien. Diese Riege der Lakaien kann in sich auch nochmal hierarchisch aufgebaut sein. Die große Masse der Mitglieder befindet sich jedoch ganz unten. Und hat in der Regel keine Chance, jemals in irgendeine Führungsposition zu kommen, wenn sie sich der obersten Führung nicht in ganz besonderer Weise andient und unterwirft.
Die Führungsperson oder -gruppe hat das Sagen über alles, selbst dann, wenn die Sekte von sich behauptet, dass alle mitentscheiden könnten oder sie alle gleichberechtigt und auf Augenhöhe seien. Das, was die Führung vorgibt, ist Gesetz in jeder Sekte. Sie gibt sämtliche Regeln für die Mitglieder vor, aber auch die Strafen bei Regelverstößen, die Aufgaben und die sehr selektiven Informationen, mit denen die Mitglieder gefüttert werden.
Nichts in einer Sekte geschieht ohne das Wissen und den Segen der Führung. Sie lässt ihre Mitglieder in aller Regel (engmaschig) überwachen. Werden Einzelpersonen in Sekten z. B. wegen Steuerhinterziehung, Vergewaltigung, Pädophilie oder Menschenhandel vor Gericht gebracht, dann kann man mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Führung sehr genau darüber Bescheid wusste. Oder diese Straftaten sogar angeordnet hat. Allerdings wird sie es auch so hingebogen haben, dass es ihr nicht ausreichend nachzuweisen ist und alles an den ausführenden Personen hängenbleibt. Deshalb ist es äußerst selten, dass nicht (nur) einzelne Mitglieder, sondern sogar die Führung einer Sekte vor Gericht kommt und bestraft wird (wie z. B. in den USA Keith Raniere von „NXIVM“ oder Warren Jeffs von der sogenannten „Fundamentalistischen Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“).
10. Sekten müssen keine großen Gruppen sein
Wir stellen uns Sekten oft als große Gruppen mit hunderten oder tausenden Mitgliedern vor, die ganze Stadien füllen, um ihrer Führung zu huldigen. Aber eine Sekte kann auch eine ganz kleine Gruppe sein, eine Handvoll Menschen, die einer Führungsperson folgen, oder auch eine Familie.
An der Größe oder der Anzahl der Mitglieder allein lässt sich nicht ablesen, ob es sich um eine Sekte handelt. Da toxische Menschen laut Expert:innen etwa 16 Prozent der Bevölkerung ausmachen, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass du mindestens einen Menschen kennst, der sich in einer Sekte, einer sektenähnlichen Gemeinschaft oder einem sektenartigen Unternehmen (z. B. einem Multi-Level-Marketing-Unternehmen [MLM]) befindet. Und du kennst sicher mehrere, die aus einer toxischen Familie stammen.
11. Ehemalige Mitglieder brauchen Unterstützung.
Für Mitglieder von Sekten ist es meist unwahrscheinlich schwer, diese zu verlassen. Zum einen liegt das daran, dass sie oft über Jahre – vielleicht sogar ihr ganzes Leben lang – indoktriniert wurden. Sich dem Druck durch die Führung, die Regeln und die Gemeinschaft zu widersetzen, kann extrem hart sein. Und das Verlassen einer Sekte bedeutet für viele Mitglieder, ihre ganze bekannte Welt zu verlassen, ihr gesamtes soziales Gefüge zu verlieren. Denn in der Sekte sind höchstwahrscheinlich viele oder alle ihre Familienmitglieder, fast alle ihre Freund:innen, und vielleicht haben sie auch ihren Hauptjob in der Sekte. Sind sie in der Sekte aufgewachsen, ist die alles, was sie kennen, ihre Heimat, ihr Zuhause. Die Trauer über den Verlust kann unermesslich sein.
Denn Sekten sind sehr radikal, wenn Mitglieder aussteigen: Sie verbieten den zurückgebliebenen Familienmitgliedern und Freund:innen jedweden Kontakt zu den vermeintlich „Abtrünnigen“ oder „Sünder:innen“. Manche bestrafen die verbliebenen Mitglieder, wenn sie dennoch Kontakt aufnehmen. Oder sie überziehen jene, die entkommen sind und öffentlich über die Machenschaften der Sekte sprechen, aus Rache und aus Taktik mit Rufmord und teuren Gerichtsprozessen.
Schaffen es Mitglieder dennoch, sich aus den Klauen der Sekte zu befreien, stehen sie oft vor dem absoluten Nichts. Sie sind seelisch, emotional, aber auch körperlich oft völlig am Ende. Sie haben hier draußen kaum oder keine vertrauenswürdigen und verlässlichen Kontakte, sie bekommen keine psychologische Unterstützung, sie haben womöglich keine Wohnung, keinen Job, und sie haben ziemlich sicher keinen Cent auf der Tasche. Denn Sekten nötigen ihre Mitglieder oft, all ihre Ersparnisse, Lebensversicherungen und Immobilien der Sekte zu übergeben. Verlassen sie die Sekte, bekommen sie ihr Geld meist auch nicht wieder. Viele, insbesondere jene, die ihr Leben lang in der Sekte waren, wissen außerdem nicht, wie man sich jenseits der Sekte ein neues Leben aufbauen kann – sie kennen sich nicht mit Bewerbungen, Wohnungssuche, Versicherungen und all den Dingen aus, die für uns ganz normal sind. Und dann müssen sie noch mit dem Stigma kämpfen, Mitglied einer Sekte gewesen zu sein.
Sehr viele von ihnen müssen also am absoluten Nullpunkt anfangen und von der ersten Sekunde an kämpfen. Dafür brauchen sie unsere Solidarität und unsere vorurteilsfreie Unterstützung. Sie brauchen die Freiheit, die Dinge in ihrem eigenen Tempo anzugehen und zu lernen, ihre eigene Wahl zu treffen, vom Waschpulver über das Wohnzimmermobiliar und den Beruf bis zur eigenen Partnerschaft. Wer in einer Sekte aufgewachsen ist, braucht Freiraum und Unterstützung, um herauszufinden, wer sie:er überhaupt (ohne die Sekte) ist. Sie brauchen Unterstützung dabei, sich alle nötigen Informationen zu beschaffen, um sich eine eigene Meinung über alles bilden zu können. Sie benötigen eine auf den Sektenausstieg spezialisierte, fachlich kompetente Begleitung. Und sie brauchen unser Mitgefühl. Denn sie machen ziemlich sicher eine Zeit durch, die teilweise noch härter ist als die, die sie innerhalb der Sekte erlebt haben.
Was du sonst noch über Sekten wissen solltest
Das waren elf Dinge, die du auf jeden Fall über Sekten wissen solltest. Es gibt noch wesentlich mehr, das wir eigentlich alle über Sekten wissen sollten, denn sie sind ein riesiges Feld, das anscheinend immer weiter wächst. Sie agieren meist in den Grauzonen der Legalität, oft auch jenseits, sie bewegen sich immer am Rande der Gesellschaft, und sie denken sich immer wieder neue Tricks, Inhalte und Methoden aus, um nichtsahnende Menschen zu ködern, damit die auf ihre „Lehren“ hereinfallen. All das nur, damit eine einzige Person oder einige wenige sich an all dem Geld, der Macht, Kontrolle und Dominanz aufgeilen können.
Was Du auch noch wissen solltest, ist, dass selbst du mit ziemlicher Sicherheit jederzeit auf eine Sekte hereinfallen könntest. Hast du z. B. schon einmal etwas gekauft, weil du eine Werbeanzeige dafür gesehen hast oder weil andere in deinem Umfeld das auch gekauft haben, z. B. ein Werkzeug, ein Kleidungsstück, eine Haarfarbe, ein Auto oder ein Rauschmittel? Dann bist auch du leider anfällig für die schönen Versprechen einer Sekte.
Wo kannst du dich weiter über Sekten informieren? Z. B. bei Infosekta.ch, einer Liste mit Beratungsstellen zu Sekten in Deutschland. Und es gibt glücklicherweise immer mehr Podcasts, die sich diesem Thema widmen. Einige davon in englischer Sprache habe ich auf der Seite „Hilfreiche Infos“ verlinkt, aber du findest sie auch unter dem Stichpunkt „Sekte“ oder den spezifischen Namen der Sekten auf YouTube und allen Podcast-Plattformen.
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