Toxische Warnsignale können dir früher oder später anzeigen, ob du es womöglich mit einem toxischen Menschen zu tun hast. Doch gerade in engeren Beziehungen ist das oft schwer, weil wir im Überschwang der Gefühle oder aufgrund alter Vertrautheit die Warnsignale nicht erkennen. Ein gutes Warnsignal ist der Umgang mit deinen Bedürfnissen.
Es kommt bei toxischen Warnsignalen nicht darauf an, wie lange du bereits eine Beziehung zu einem Menschen hast oder in welchem Verhältnis ihr zueinander steht. Dieser Mensch kann dein Elternteil sein, dein Bruder, deine Freundin, dein Kollege, deine Vorgesetzte, dein Nachbar, eine neue Liebe oder dein:e langjährige:r Ehepartner:in.
Wir gehen in aller Regel davon aus, dass die Menschen, mit denen wir es zu tun haben, sich an die Gesetze und Regeln unserer Gesellschaft und unserer Kultur halten. Dass sie sich an Absprachen halten und ein Mindestmaß an Rücksicht nehmen. Dass sie uns mit Anstand und Respekt behandeln. Und wir hoffen, dass wir die Hintertückischen und Arglistigen frühzeitig erkennen und uns vor ihren Manipulationen schützen können.
Toxische Warnsignale sind leicht zu übersehen
Doch gerade die sehr normale, menschliche Annahme, dass die Mehrheit derer, die wir kennen, uns nichts Böses will, kann uns den Blick auf die Manipulationsmethoden toxischer Menschen versperren. Viele toxische Warnsignale sind aber auch so verdeckt, dass wir sie absolut nicht erkennen können, wenn wir gar nicht wissen, worauf wir achten müssen. Besonders schwierig ist es, diese Methoden auszumachen, wenn wir viel in eine Beziehung investieren, z. B. eine Liebesbeziehung, eine Familie oder eine berufliche Partnerschaft. Also gerade dann, wenn Vertrauen und viele positive, starke Gefühle im Spiel sind.
Unser Blick richtet sich dabei allerdings meistens nur auf das Gegenüber. Wenn wir diesen Menschen mögen oder lieben oder gemeinsam viel Geld und Arbeit in etwas investieren, dann trauen wir ihm ein falsches Spiel meist gar nicht zu. Wir geben ihm einen Vertrauensvorschuss oder glauben, ihn zu kennen, und denken, so etwas würde dieser Mensch uns niemals antun. Doch was wir eigentlich tun müssten, ist, den Blick auf uns selbst zu richten, uns selbst zu fragen: Wie geht dieser Mensch eigentlich mit meinen Bedürfnissen um? Tut er das auf eine normale, gesunde, unterstützende und aufbauende Weise?
Was wären normale Reaktionen auf deine Bedürfnisse?
Wir alle haben bestimmte Bedürfnisse, die wir in Beziehungen zu anderen Menschen gerne erfüllt sehen würden. Diese Bedürfnisse richten sich teilweise nach der Art der Beziehung – in Bezug auf einen Lebensgefährten sind unsere Bedürfnisse wahrscheinlich andere als in Bezug auf die Mutter, eine Geschäftspartnerin oder einen Freund. Andere Bedürfnisse sind universell, wir erwarten sie oder wünschen sie uns in allen Beziehungen. Wir haben z. B. Bedürfnisse wie emotionale Sicherheit, finanzielle Stabilität, Umgang auf Augenhöhe, Respekt, Akzeptanz, immer ein offenes Ohr vorzufinden, mentale Unterstützung, Gemeinsamkeit, sexuelle Befriedigung, Berührungen und Nähe, Wärme, Verständnis, Loyalität, Ehrlichkeit, echte Liebe, aber z. B. auch ein geregelter Tagesablauf, viele Abenteuer, Ruhe, Bewegung, Abwechslung u. v. m.
Menschen sind individuell und sehr verschieden. Deshalb reagieren sie auch unterschiedlich auf Bedürfnisse. Stehen wir in einem engeren, verbindlichen Verhältnis zu jemandem, dann verhalten wir uns aber meist sehr ähnlich, d. h. wir verhalten uns den Bedürfnissen der anderen Person gegenüber entgegenkommend, positiv und unterstützend. Normale Reaktionen auf diese Bedürfnisse wären also bspw. aktives Zuhören, Mitdenken und Mitfühlen, ein Aufeinanderzugehen, die Bereitschaft zu Kompromissen dem anderen Menschen zuliebe, ein respektvoller Umgang mit seinen Bedürfnissen und der ehrliche Versuch, ihm die Bedürfnisse nach Möglichkeit zu erfüllen. Und zwar nicht nur, wenn wir gerade nichts Besseres zu tun haben, sondern grundsätzlich. Denn wir möchten, dass es dem anderen Menschen gut geht, dass er sich mit uns wohlfühlt, dass er weiß, wie sehr wir ihn schätzen, mögen oder lieben und dass wir für ihn da sind. Erwidert dieser Mensch unsere Gefühle oder hat er denselben Vertrag unterschrieben, dann gehen wir davon aus, dass er im Gegenzug auch unsere Bedürfnisse respektvoll zu erfüllen versucht.
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Wie reagieren toxische Menschen auf unsere Bedürfnisse?
Ganz anders läuft der Hase jedoch bei toxischen Menschen. Unsere Bedürfnisse sind für sie uninteressant oder sogar eine Last, denn für sie zählen vorrangig ihre eigenen Bedürfnisse. Für uns ist da gar kein Platz. Diese Einstellung führt dann häufig zu sehr verwirrendem und verletzendem Verhalten. Denn einerseits behaupten sie immer wieder, dass wir ihnen wichtig sind, andererseits sind ihnen unsere Bedürfnisse ziemlich egal. Oder sie nutzen unsere Bedürfnisse sogar, um uns unter Druck zu setzen, zu erpressen oder ganz bewusst das genaue Gegenteil zu tun.
Welche Reaktionen auf deine Bedürfnisse können ein toxisches Warnsignal sein?
Im Folgenden siehst du für einige unserer normalen Bedürfnisse sehr typische toxische Reaktionen. Nicht jede Reaktion ist, wenn sie ein Mal vorkommt, gleich ein Warnsignal. Zu diesem wird sie erst, wenn sie immer wieder oder auch in Verbindung mit anderen Reaktionen vorkommt.
- Du brauchst emotionale Sicherheit.
Doch dieser Mensch chattet ständig mit jemand anderem, hat eine Affäre, verbringt viel Zeit mit anderen, behauptet aber immer wieder, das habe nichts zu bedeuten. Und sät damit in dir Zweifel. - Du wünschst dir sexuelle Befriedigung.
Doch diesem Menschen geht es im Bett meist nur um seine eigenen sexuellen Wünsche und Vorstellungen, und er ist nur an seinem eigenen Orgasmus interessiert. - Du benötigst finanzielle Stabilität.
Doch dieser Mensch geht große Risiken mit eurem gemeinsamen oder deinem Geld ein oder geht sehr sorglos damit um. Oder er kündigt immer wieder seine Jobs, sodass du Alleinverdiener:in bist. - Du brauchst einen Umgang auf Augenhöhe.
Doch dieser Mensch gibt dir immer wieder das Gefühl, ihm intellektuell nicht gewachsen zu sein (obwohl du vielleicht die erheblich besser Ausbildung hast). Oder er macht dich immerzu klein, auch vor anderen Menschen. - Du hast das Bedürfnis nach einem Mindestmaß an Respekt.
Doch dieser Mensch redet zwar gerne von Respekt und behauptet, dich und deine Bedürfnisse selbstverständlich zu respektieren, aber er kanzelt dich immer wieder ab (auch vor anderen), kritisiert deine Entscheidungen, macht deine Tätigkeiten lächerlich u. Ä. Du fühlst dich sehr häufig nicht ernst genommen, gerade bei Dingen, die dir wirklich wichtig sind oder von denen du sehr viel Ahnung hast. - Du möchtest so akzeptiert werden, wie du bist.
Setzt du diesem Menschen Grenzen, akzeptiert er sie nicht und versucht immer, sie zu sprengen oder mindestens zu verschieben. Hast du Freund:innen, die er nicht leiden kann, akzeptiert er eure Freundschaften nicht, sondern versucht, sie dir madig zu machen. - Du wünschst dir, immer ein offenes Ohr vorzufinden.
Doch „Hör doch mal auf zu jammern“ ist eine beliebte Antwort, wenn du dich mitteilst und auf ein offenes Ohr hoffst. Vielleicht wird dieser Mensch auch wütend und macht dir Vorwürfe. Oder er hat immer dann, wenn du etwas erzählen oder eine Aussprache möchtest, angeblich „keine Zeit“ und verspricht vielleicht, sich später welche zu nehmen, doch dazu kommt es nie. Oder er tut so, als würde er zuhören, doch du merkst schon beim Sprechen, dass das, was du sagst, bei ihm zum linken Ohr rein und rechts sofort wieder rausgeht. Und seine Reaktionen zeigen dir, dass ihn das, was dich bewegt, nicht die Bohne interessiert und er sich auch nicht die Mühe macht, eine angemessene Reaktion darauf zu zeigen. - Du hast das Bedürfnis nach mentaler Unterstützung.
Doch „Viel Glück, ich denk an dich und drücke dir die Daumen! Du schaffst das!“ und ähnliche Sätze kennst du in dieser Beziehung kaum oder gar nicht. Oder du bekommst einen Rat, der deinem Wesen widerspricht und dir womöglich eine gute Chance versaut oder dich viel Geld, Zeit, Freundschaften usw. kostet, wenn du gegen dein Gefühl gehst und diesem Rat vertraust. Oder hast du z. B. die Prüfung geschafft, den Job bekommen oder das erfreuliche Resultat von deiner ärztlichen Untersuchung bekommen, dann winkt dieser Mensch ab, geht gleich zum Alltag über oder ist maulig oder wütend. - Du wünschst dir Gemeinsamkeit.
Doch dieser Mensch möchte keine oder wenig gemeinsame Zeit verbringen. Vielleicht hat er angeblich „keine Zeit“ oder er hat keine Lust auf die Unternehmung oder er will lieber fernsehen, „muss arbeiten“ oder kann die Leute nicht leiden, die euch eingeladen haben. Oder er trifft viele, auch wichtige Entscheidungen einfach ohne dich und über deinen Kopf hinweg. - Du hast das Bedürfnis nach Berührungen.
Doch Berührungen bekommst du nur, wenn du darum bittest oder bettelst und wenn diesem Menschen danach ist (z. B. weil er Sex will). Vielleicht zeigt oder äußert er sogar manchmal Widerwillen oder Ekel, wenn er dich berührt. - Du brauchst Nähe.
Doch echte, tiefe Nähe erlebst du mit diesem Menschen nicht. Es scheint immer noch ein letztes Hindernis zu geben, das euch trennt. Doch du kannst es nicht so recht ausmachen, geschweige denn aus dem Weg schaffen. Und dieser Mensch behauptet womöglich, dass du ihm so nahe bist wie sonst niemand – doch dein Instinkt sagt dir, dass das nicht stimmen kann. Oder er behauptet, das Hindernis seist du selbst, du seist so verkorkst, dass keine Nähe mit dir möglich sei. - Du wünschst dir Wärme in dieser Beziehung.
Vielleicht gibt es Zeiten, in denen dir dieser Mensch mit scheinbarer Wärme gegenübertritt. Doch ist das meist dann der Fall, wenn er etwas von dir will. Echte Wärme erlebst du eher selten von ihm. Stattdessen viele Diskussionen, Abwertungen, Kommandos und Anweisungen. - Du hast das Bedürfnis, verstanden zu werden.
Doch immer wieder erlebst du, dass dieser Mensch keinerlei Verständnis für deine Gedanken, Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche oder Handlungen hat. Dass er genervt ist und es scheinbar nicht versteht, wenn du krank bist oder Hilfe benötigst. - Du wünschst dir Loyalität in dieser Beziehung.
Doch dieser Mensch fällt dir immer wieder in den Rücken und/oder lästert oder redet schlecht über dich, verbreitet Gerüchte über dich oder schädigt gezielt deinen Ruf. Vielleicht sagt er dir sogar, du solltest diesbezüglich nicht immer so empfindlich sein oder das sei doch (angeblich) nur „ein Witz“ oder „lieb gemeint“. - Dir ist Ehrlichkeit ein Bedürfnis.
Doch du ertappst diesen Menschen immer wieder bei Lügen, manche klein, manche schwerwiegend. Du hast auch das Gefühl, dass er dir gegenüber emotional nicht ehrlich ist, dass du eigentlich gar nicht sicher bist, ob er dir die gleichen oder ähnliche Gefühle entgegenbringt wie du ihm. - Du brauchst Verlässlichkeit in der Beziehung.
Doch dieser Mensch ist in jeder Hinsicht immer wieder unzuverlässig. Er trompetet Dinge, die du ihm allein anvertraut hast, heraus. Er ist nie da, wenn du ihn brauchst oder nur mit viel Wut oder nur unter bestimmten Bedingungen. Er kommt häufig zu spät, wenn er pünktlich sein sollte oder wollte. Er benimmt sich bei für dich wichtigen Anlässen daneben oder manipuliert die Menschen dort. Er geht fremd oder trianguliert immer wieder. Auch emotional ist er unzuverlässig – du gehst wie auf rohen Eiern in seiner Gegenwart, weil du nie weißt, wann und wodurch er aus der Haut fahren wird. - Du brauchst einen geregelten Tagesablauf.
Doch dieser Mensch bringt deinen Tagesablauf immer wieder durcheinander. Einmal aufgestellte Regeln wirft er ohne Rücksprache über den Haufen. Wo er vorher einem geregelten Ablauf zugestimmt hat, widersetzt er sich nun immer wieder. Verabredungen hält er nicht ein oder verschiebt sie wieder und wieder. Und er kritisiert dich für dein Festhalten an Abmachungen und Tageszeiten. - Du hast das Bedürfnis nach Abwechslung und Abenteuern.
Entgegen früherer Aussagen, dass er ziemlich draufgängerisch sei, entpuppt sich dieser Mensch jedoch als Sofakartoffel mit immer denselben Routinen, und sein Draufgängertum beschränkt sich z. B. aufs Lottospielen oder eine neue Sorte Mayo zu seinen Pommes. - Du hast das Bedürfnis nach Ruhe.
Ob du Ruhe zum Arbeiten benötigst oder generell lärmempfindlich bist, dieser Mensch stört sich nicht die Bohne daran und macht Krach wie es ihm gefällt. Ob das wiederholtes Türenknallen ist, überlaute Musik, Telefonate über Lautsprecher, laute Gespräche vor deiner Tür, Lärm beim Stühlerücken auf Fliesen – er nimmt keine Rücksicht auf dich. Manmal hast du den Verdacht, dass er diesen Lärm sogar absichtlich macht. - Du brauchst Bewegung.
Seid ihr vielleicht am Anfang noch zusammen jeden Morgen gejoggt oder spazierengegangen, habt ihr keinen Tanz bei Partys ausgelassen oder gemeinsam Wettkämpfe bestritten, ist das längst vorbei. Alles ist Stillstand. Dieser Mensch macht nichts mehr davon oder wenn doch, dann meistens ohne dich oder ohne dich mit einzubeziehen. Auch eure Beziehung dreht sich nur noch im Kreis, anstatt sich weiterzuentwickeln. - Du hast das Bedürfnis nach echter Liebe.
Dieser Mensch sagt dir zwar, dass er dich liebt, doch handelt er nicht so. Du wirst das Gefühl nicht los, dass seine Liebe eher oberflächlich oder sehr bald ziemlich abgeflacht ist. Oder du hast das Gefühl, du musst immer um diese Liebe kämpfen, du kannst dich dieser Liebe nie sicher sein. Du musst dich beweisen oder bekommst sie immer nur, wenn du funktionierst oder diesem Menschen zu Gefallen bist.
Du hast sicher noch weitere Bedürfnisse in Bezug auf deine Beziehung zu einem schwierigen Menschen und kannst dessen Umgang mit ihnen auf den Prüfstand stellen. Zusammengefasst kannst du jedenfalls eine schlechte Beziehung daran erkennen, dass dieser Mensch deine Bedürfnisse nicht sieht, nicht respektiert und oft auch nicht oder nur widerwillig erfüllt. Und eine toxische Beziehung kannst du daran erkennen, dass du darüber hinaus Gaslighting
erlebst, Manipulationen, Wut, Abwehr, Häme und Abwertung deiner Bedürfnisse oder gar Demütigungen. Und dass eine Erfüllung deiner Bedürfnisse durch diesen Menschen häufig transaktiv, d. h. an Bedingungen geknüpft ist: Ich erfülle dir dieses Bedürfnis (nur), wenn du im Gegenzug XYZ für mich tust. Oder: Ich habe letzte Woche XYZ getan, jetzt musst du mir auch mal entgegenkommen. Solche Bedingungen werden aber nicht immer offen dargelegt, oft hängen sie unausgesprochen in der Luft. Manchmal sogar jahre- oder jahrzehntelang. Und häufig weigert sich dieser Mensch, auch nur einen Finger für dich zu krümmen, bis du seine (oft überzogenen) Bedingungen erfüllt hast.Während also die Erfüllung deiner Bedürfnisse oder zumindest die überwiegende Rücksichtnahme auf sie in positiven, gesunden Beziehungen selbstverständlich ist, musst du dir dies in toxischen Beziehung häufig hart erarbeiten oder ganz darauf verzichten. Bemerkst du so etwas wiederholt in einer Beziehung, und erkennst du weitere toxische Warnsignale, dann kannst du davon ausgehen, dass du in einer toxischen Beziehung steckst.