Ist Love-Bombing gefährlich? Kann das wirklich sein? Denn es ist doch die schönste Zeit deines Lebens! Nie hast du dich so wohl, so gesehen und angenommen gefühlt wie in diesen Wochen oder Monaten. Was, bitteschön, soll daran gefährlich sein?
Die Phase des Love-Bombings ist eine wunderschöne Zeit. Wenn du in deinem Leben schon mal sehr verliebt warst, kannst du diese Erfahrung potenzieren und reichst wahrscheinlich noch längst nicht an diese tolle Zeit des Love-Bombings heran. Ähnlich ist es mit Arbeitsbeziehungen, neuen Bekannten oder neuen Vereinen und Organisationen. Doch warum ist genau das das Problem? Und ist das deine Schuld?
Was ist nochmal Love-Bombing?
Als „Love-Bombing“ (wörtlich: „Bombardieren mit Liebe“) wird die anfängliche Phase einer Beziehung zwischen zwei Menschen bezeichnet, in der die eine Person die andere mit Zuneigung, Aufmerksamkeit und Komplimenten geradezu überschüttet. Sie hört zu, zeigt großes Interesse selbst an Kleinigkeiten und merkt sich selbst die nebensächlichsten Satzfetzen aus euren Unterhaltungen. Sie sucht immer wieder von selbst das Gespräch, fragt nach und nimmt sich Zeit für dich. Sie bietet sich oder ihre Kontakte und deren Dienstleistungen an, kommt dir in vielem entgegen, lässt Fünfe großzügig gerade sein und nimmt dir (insbesondere unangenehme) Aufgaben ab. Vielleicht bekommst du in dieser Phase auch schon großzügige Geschenke, die du so gar nicht erwartet hast.
Du hast sehr schnell das Gefühl, dass du hier jemand ganz besondere:n getroffen hast. Einen Menschen, der so sehr auf dich eingeht und so viel Interesse für dich zeigt, wie du es entweder schon lange nicht mehr oder sogar noch nie erlebt hast. Eine Art Seelenverwandten, der es nicht nur gut mit dir meint, sondern dir auch ungemein guttut. Gewöhnt man sich je an dieses Gefühl? Möglich, in einer normalen Beziehung. Doch die Beziehung zu einem toxischen Menschen ist nicht normal.
Was passiert nach der Love-Bombing-Phase?
Hinzu kommt, dass die Phase des Love-Bombings, also die Zeit, in der dir alles wie ein Märchen erscheint, das endlich wahr geworden ist, meistens nicht sehr lange anhält. Es gibt zwar Beziehungen mit einem toxischen Menschen, die jahrzehntelang halten können, doch das ist eher die Ausnahme als die Regel.
Du schwebst also im siebten Himmel, gehst wie auf Wolken und genießt all diese romantischen oder zumindest enorm positiven Gefühle, die dieser Mensch in dir geweckt hat. Dabei verpasst du beinahe, dass sich schon bald etwas an eurer Beziehung verändert hat. Jetzt knirscht es schon mal hier und da. Doch du denkst, das muss so sein, wenn der Alltag einkehrt. Welche Beziehung besteht schon 24/7 aus Rosen, Zuckerwatte und Sonnenschein, oder? Ist doch normal.
Wenn’s jetzt mal blöd läuft, zehrst du inzwischen noch von der schönen Zeit, als alles 100-prozentig traumhaft erschien. Als ihr euch blind verstanden habt, euch immer ausgetauscht, viel geredet und gelacht habt, einander vertraut habt wie niemand sonst und ihr euch absolut aufeinander verlassen konntet.
Obwohl die Beziehung Schritt für Schritt ungemütlicher wird und dein Gegenüber immer öfter auf Distanz geht, findest du Entschuldigungen dafür: Der andere Mensch hat viel Stress, jemand setzt ihn unter Druck, die Verantwortung ist hoch, du bist manchmal vielleicht auch einfach zu empfindlich und alles mögliche andere. Nichts davon ist der Grund für die Veränderung, aber das ahnst du noch nicht.
Warum also ist Love-Bombing gefährlich?
So weit, so normal … scheinbar. Und es sieht nun wirklich nicht so aus, als sei Love-Bombing gefährlich. Schließlich geht jede Beziehung mal durch eine schwierige Phase. Doch gibt es in der Beziehung mit einem toxischen Menschen schon in dieser Anfangszeit einige Faktoren, die für dich verhängnisvoll sein können.
Denn während dir (fast) alles unfassbar schön vorkommt, geschehen in deinem Körper einige chemische Reaktionen. Neurotransmitter und Hormone werden ausgeschüttet, die dir in dieser Phase ein Gefühls-High nach dem anderen bescheren. Und wie das mit Highs so ist: Man möchte gerne mehr davon. Ganz besonders, wenn sie ausbleiben. Tatsächlich, zeigen Studien wie diese, hat dies Ähnlichkeiten mit einer Drogensucht. Bleibt der Stoff aus, geht man auf Entzug und würde alles dafür tun, wieder Stoff zu bekommen und damit ein erneutes High zu erreichen.
Diese Sucht hat der toxische Mensch durch das Love-Bombing in vergleichsweise sehr kurzer Zeit bei dir ausgelöst. Entzieht er dir den Stoff (seine Aufmerksamkeit, seinen Zuspruch, seine Zeit, seine Zuneigung usw.), empfindest du das nicht nur seelisch als schwer erträglichen Schmerz, sondern auch körperlich, wie bei einer Droge. Und du wirst alles tun, um wieder Stoff von diesem Menschen zu bekommen. Genau damit hat er jetzt Macht über dich. Er kann dir den Stoff geben oder entziehen, ganz wie es ihm beliebt. Und das tut er. Denn er weiß, du wirst dich anstrengen, um an den Stoff zu kommen, du wirst Dinge tun, die du sonst wahrscheinlich nicht tun würdest. Du wirst deine Grenzen überschreiten, ohne dass er selbst dafür irgendetwas tun muss. Und bist damit abhängig von ihm.
Hättest du das kommen sehen können?
Nein. Denn als du diesem Menschen begegnet bist, hat er alles dafür getan, dir den Eindruck zu vermitteln, ein außergewöhnlich sympathischer, toller, vertrauenswürdiger und freundlicher Mensch zu sein. Hättest du diese Show, die er bereits sein Leben lang eingeübt hat, durchschauen können? Auch das ziemlich sicher nicht. Denn du hast wahrscheinlich nicht schon lebenslang Ahnung von toxischen Menschen und ihren Methoden. Weshalb du bei dieser Begegnung mutmaßlich davon ausgegangen bist, dass es sich bei diesem Menschen um einen ganz normalen Menschen mit guten Absichten handelt, nicht um einen extrem manipulativen, der dich nur aus- und benutzen wollte.
Möglicherweise hast du Hinweise darauf gesehen, dass da irgendetwas nicht stimmen kann. Doch die Droge hat bereits sehr früh ihre Wirkung getan. Selbst wenn du irgendwann einmal leise (oder laute) Zweifel hattest oder andere sie geäußert haben: Die Droge sorgte dafür, dass du bereits Entschuldigungen oder Ausreden parat gehabt hast, auch vor dir selbst. Deshalb: Sei nachsichtig mit dir selbst. Denn so gut wie niemand hätte den Horror, den die meisten nach dieser umwerfend schönen ersten Phase erlebt haben, nicht kommen sehen können. Auch du nicht.