Wer wird eigentlich Opfer von toxischen Menschen? Viele denken, ihnen selbst könne das nicht passieren. Sie seien nicht so wie die typischen Opfer. Das müssten ja sehr schwache, naive, vielleicht sogar dumme Menschen sein, wenn sie auf die durchsichtigen Maschen toxischer Menschen hereinfallen. Aber stimmt das?
Opfer von toxischen Menschen erleben es oft, dass Leute, die von ihrem Schicksal erfahren, nicht verstehen, wie sie auf solch einen Menschen hereinfallen konnten. Warum sie so lange bei ihm geblieben sind, wenn er doch „angeblich so teuflisch/böse“ war. Ihr oft deutlicher Unwille, zuzuhören, zu verstehen oder wenigstens mit den Opfern mitzufühlen, ist für viele Opfer schwer zu ertragen. Dann auch noch als schwach, dumm oder naiv bezeichnet zu werden, macht die Sache nicht besser.
Wer also wird Opfer von toxischen Menschen?
Typische Opfer toxischer Menschen sind ganz und gar nicht das, was man sich landläufig unter ihnen vorstellt. Sie sind weder leichtgläubig noch naiv, dumm, viel zu emotional oder masochistisch. Meist ist das genaue Gegenteil der Fall.
Typische Opfer von toxischen Menschen zeichnen sich u. a. durch folgende Eigenschaften aus: Sie sind:
- stark,
- klug,
- mitfühlend,
- idealistisch,
- hilfsbereit,
- großzügig,
- fair,
- auf eigenen Beinen stehend,
- erfolgreich,
- verzeihend,
- sozial,
- aktiv,
- lebensfroh,
- offen,
- lernen gerne neue Menschen kennen,
- fröhlich und
- optimistisch.
- Sie wollen diese Welt zu einer besseren machen,
- suchen nach Wegen, wie das möglich wäre,
- und sie haben viele Pläne für ihr Leben – kein einziger davon beinhaltet aber, massiv über den Tisch gezogen zu werden und seelische, emotionale und körperliche Gewalt zu erleben.
Einige Opfer haben auch zuvor schon toxischen Missbrauch erleben müssen – manche sind mit toxischen Eltern aufgewachsen. Sie können die toxischen Methoden oft erst recht nicht ausmachen, weil sie gelernt haben, dieses Verhalten für normal zu halten.
Man darf auch nie vergessen: Die Opfer von toxischen Menschen haben sich nicht auf einen toxischen Menschen eingelassen, sondern auf einen scheinbar guten Menschen, der ihnen in vielen Dingen ähnlich zu sein schien. Dass es eine Rolle war, die er ihnen ziemlich glaubwürdig vorgespielt hat, konnten sie nicht ahnen. Sie waren davon überzeugt, es mit einem charmanten, humorvollen oder zumindest sehr sympathischen und anständigen Menschen zu tun zu haben. So gut wie kein nicht-toxischer Mensch lässt sich freiwillig und bewusst auf einen toxischen Menschen ein.
Damit entsprechen typische Opfer toxischer Menschen genau dem Typus Mensch, von dem man annehmen würde, dass er eben nicht auf manipulative, bösartige Menschen hereinfällt. Doch wie so häufig stimmen die Klischees nicht ansatzweise mit der Realität überein.
Warum zielen toxische Menschen ausgerechnet auf diese Personen ab?
Es kann einige Gründe dafür geben, warum toxische Menschen sich genau diese Opfer suchen. Eine solche Person stellt all das dar, was der toxische Mensch nicht ist und nicht kann. Deshalb braucht er sie in seiner Nähe, um sich bei ihr Verhaltensweisen und Sprachmuster abzuschauen, die er noch nicht oder noch nicht überzeugend genug einstudiert hat. Er braucht sie also, um von ihr zu lernen, wie man handeln und sprechen muss, um nach außen hin als mitfühlender, starker, guter Mensch wahrgenommen zu werden. Je besser toxische Menschen diese Rolle spielen können, desto schneller vertrauen andere Menschen ihnen (und sie haben nicht mehr so viel Mühe und Arbeit, sie für ihre Zwecke zu benutzen).
Toxische Menschen sind auch häufig sehr neidisch. Sie können es kaum bis gar nicht ertragen, dass ein anderer Mensch in ihrem Umfeld so viele gute Eigenschaften auf sich vereint, so stark und lebensfroh ist. Viele wollen dann das haben, das in irgendeiner Form besser ist als sie, um es dann aus dem Weg zu räumen oder gar zu versuchen, es zu zerstören.
Empathische, hilfsbereite, verzeihende Menschen werden es auch deutlich länger mit einem toxischen Menschen aushalten können, eben weil sie empathisch, hilfsbereit und verzeihend sind. Weil sie anderen Menschen immer wieder eine Chance geben, wenn die die vorherige(n) verbockt haben. Toxische Menschen wissen sofort, dass sie bei diesen Menschen alle Grenzen nach Belieben überschreiten können und sehen es beinahe als Sport an, wie weit sie wohl bei dieser Person gehen können. Ist man diese Person, muss man schon sehr stark sein, um den ganzen Mist zu ertragen, den ein toxischer Mensch tagtäglich über seinem Opfer auskippt.
Warum halten sich diese Klischees schon so lange?
Es ist also eindeutig ein Klischee, wenn Menschen die Opfer toxischer Menschen für schwach, naiv und dumm halten. Klischees aber aus der Welt zu räumen, ist eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt. Sie sind so herrlich einfach und erklären diese unendlich komplexe und unerklärliche Welt so leicht. Unser Leben ist noch dazu so kompliziert, dass wir froh um alles sind, was es ein wenig erleichtert. Der Glaube, die Welt mithilfe von Klischees begreifen zu können, schafft uns etwas mehr Sicherheit.
Es ist aber auch sehr unbequem, Klischees zu überprüfen. In unserer Gesellschaft wird es uns sehr leicht gemacht, sie gar nicht erst zu hinterfragen. Denn toxische Menschen werden häufig als wertvoller, wichtiger und interessanter als ihre Opfer dargestellt und angesehen. Um sie drehen sich die Mythen, sie spielen die Hauptrollen in Filmen und Büchern, sie sind die erfolgreichen (vermeintlichen) Held:innen der Wirtschaft und Politik.
Dagegen anzukommen, ist nur dann möglich, wenn wir offen darüber sprechen. Auch darüber, was wir alle selbst zu diesem Kult um toxische Menschen beitragen. Was wir stillschweigend akzeptieren und wogegen wir nichts unternehmen.
Was heißt das für dich als Opfer toxischer Menschen?
Bist du Opfer von toxischen Menschen geworden, dann ist das für dich absolut kein Grund, dich dafür zu schämen. Du hast keine Schuld an seinem Verhalten. Du bist aus bestimmten Gründen auf diesen Menschen hereingefallen und hast unfreiwillig dazu beitragen müssen, die toxische Show am Leben zu halten. Du hast dich auf diesen Menschen nicht eingelassen, weil er so herrlich toxisch ist, sondern weil er dich manipuliert und dir vorgespielt hat, ihr wärt euch ähnlich, er habe großes Interesse an dir, und du seist das Beste, das ihm je hätte passieren können.
So gut wie niemand von denen, die dich für schwach, naiv und dumm halten, wäre selbst davor gefeit, auf so einen Menschen hereinzufallen. Manche sind längst in dem Netz eines toxischen Menschen verstrickt, lassen sich als Mitglied seines Fanclubs vielleicht sogar schon lange für seine Zwecke einspannen, merken die Manipulation dahinter aber nicht. Auch wenn es am Anfang schwerfallen mag: Hör einfach nicht hin, wenn sie dir sagen, Opfer seien offenbar schwach, naiv und dumm oder hätten es doch selbst so gewollt. Sie wissen meist nicht, was sie da sagen.
Für dich besteht also definitiv kein Grund zur Scham für etwas, das du gar nicht bist. Im Gegenteil: Du kannst stolz auf dich sein, dass du tief drinnen du selbst geblieben bist, trotz aller Manipulationen und Versuche, dich fertigzumachen. Dass du die Kraft hast oder hattest, die Beziehung zu einem toxischen Menschen auszuhalten, und die Kraft hattest oder haben wirst, dich zu trennen. Dass du dir deine Werte dennoch erhalten hast und weiterhin empathisch, zugewandt und hilfsbereit bist. Du magst dich an vielen Tagen schwach fühlen, aber eins ist sicher: Als Opfer eines toxischen Menschen kannst du gar nicht schwach sein – das halten nur die Stärksten aus.